: Kurdische Frauen: Prügel von zwei Seiten
■ Von den Männern verachtet und geschlagen, vom türkischen Staat verfolgt und gefoltert: Kurdinnen werden elementare Menschenrechte verwehrt / Für ihre mutige Rede auf dem ersten Frauenkongreß in der Türkei wird die Ärztin Nuray Özkan verhaftet und angeklagt
Es ist unbestreitbare Realität, daß die kurdische Frage zu den grundlegenden Fragen der Demokratie in unserem Land gehört. Die kurdische Frage ist eine offenen Wunde: mit ihrem kulturellen Hintergrund, mit ihrem geschichtlichen Erbe, mit ihrer Gesellschaftsstruktur.
Seit Jahrhunderten sind Wanderungsbewegungen im Gange, Assimilationspolitik, Unterdrückung und Gewalt sind an der Tagesordnung. Doch was passiert mit den Frauen der kurdischen Nation? Haben sie das Recht, über ihren eigenen Körper und ihr eigenes Leben zu bestimmen? Welche Rolle haben sie in Familie und Produktion? Vielleicht noch bedeutender als diese Fragen, die von der halbfeudalen Gesellschaftsstruktur herrühren, ist die Frage nach ihrer Stellung gegenüber der staatlichen Unterdrückung und dem Terror. Welcher Unterdrückung, Gewalt und Folter sind sie ausgesetzt? Inwieweit haben sie das Recht, ihre Muttersprache frei zu sprechen? Wie können wir als Frauen, die in der Türkei leben, solche Fragen ignorieren?
Ich möchte zuerst vom Arbeitsleben der Frauen berichten. In den kurdischen Regionen arbeitet die Frau erst einmal auf dem Feld, in den ländlichen Gegenden von früh morgens bis spät abends. In den kurdischen Regionen arbeitet die Frau auf den Feldern des Aga, des Großgrundbesitzers, um danach das verdiente Geld bei ihrem Mann abzuliefern. Sie selbst hat kein Recht, über das Geld, das sie verdient, mitzubestimmen. Schweigend kümmert sie sich um die Hausarbeit, die Kinder, den Mann; um sich selbst kümmert sie sich nicht. In den Städten gibt es kaum Arbeit, drei oder fünf Fabriken, ein paar Betriebe. Hier verkaufen die Frauen, meistens nicht sozialversichert und nicht gewerkschaftlich organisiert, zu Niedriglöhnen ihre Arbeitskraft. Wieder kehrt sie abends ins Haus zurück, kümmert sich um Kinder und Mann. Und wieder kümmert sie sich nicht um sich selbst.
Welchen Bildungsstand hat die kurdische Frau? Insbesondere in den ländlichen Regionen trifft man kaum auf Mädchen, die in die Schule geschickt werden. Das Mädchen wird geboren, im Kindesalter hilft es bei der Hausarbeit und noch als halbes Kind wartet es darauf, verheiratet zu werden. In den Städten ist Lesen und Schreiben immerhin verbreiteter als in den ländlichen Regionen. Aber in den kurdischen Gebieten ist ohnehin der Alphabetisierungsgrad erheblich niedriger als in anderen Regionen der Türkei.
Ich sagte gerade, daß ein Mädchen in jungem Alter anfängt, auf dem Feld und bei der Hausarbeit mitzuhelfen, daß sie dann darauf wartet, verheiratet zu werden. Die Brautwerber finden Interesse, und ihr Vater gibt sie am Ende demjenigen zur Frau, der am meisten Geld hat. Das kurdische Mädchen zieht in das Haus eines Mannes, dessen Gesicht sie nicht einmal kennt.
Diese Realität kennen wir alle. Vor einer Woche habe ich wieder ein Fallbeispiel erlebt. In das Büro des Menschenrechtsvereins in Diyarbakir kamen zwei Peschmergas (kurdische Freiheitskämpfer, d. Red.). Sie stammten aus einem der Lager der irakischen Flüchtlinge. Einer von ihnen hatte eine sonderbare Forderung: „Ich habe Frau und Kinder während des irakischen Bombardements verloren. Jetzt will ich wieder heiraten, aber die Eltern des Mädchens, das ich im Lager gefunden habe, verlangen 5 Millionen Lira (rund 50.000 Mark) als Brautpreis. Ich kann nur zwei Millionen aufbringen. Bitte gebt mir die restlichen drei Millionen, damit ich heiraten kann.“ Die Menschen in den Lagern haben alles verloren. Sie sind vor den Bombardements und dem Giftgas geflüchtet. Aber das Beispiel zeigt, daß auch unter diesen Umständen die Eltern immer noch so viel Geld verlangen. Prügel von allen Seiten
Prügel sind in den Haushalten eine unumstößliche Tatsache. Seit dem frühen Morgen wird hier über Prügel gesprochen. Unsere feministischen Freundinnen haben berichtet, daß sie von Männern geschlagen werden. Das ist eine empfindliche Sache. Die Kurdinnen aber bekommen von zwei Seiten Schläge: Von ihrem Mann, der mit seiner Entmündigung, seiner Unbildung und seiner Hilflosigkeit nicht fertig wird, wird sie geprügelt, verachtet und unterdrückt. Das ist nur die eine Seite. Die andere Seite ist aber noch bedrückender: der staatliche Terror, die Unterdrückung, die in jedem Dorf, jedem Bezirk, jeder Stadt mal mehr, mal weniger vorherrscht und die in ganz eigener Weise auch die Frauen trifft.
Werden ihre Männer, Brüder oder Söhne von den Soldaten mitgenommen, was gleichbedeutend ist mit Folter, so benutzt man die Frauen als zusätzliches Druckmittel. Häufig werden auch Frauen gefoltert, um Druck auszuüben. Auch aus politischen Gründen foltert man sie. Häufig werden sie nur gefoltert, weil sie Kurdinnen sind.
Die Häuser in den Dörfern werden überfallen, durchsucht und geplündert. Wie die ganze Familie bekommen auch die Frauen die Verachtung und die Gewalt der Soldaten zu spüren. Bei der Durchsuchung der Dörfer werden sie ausgezogen, geschlagen und mit Druckwasser traktiert. Niemand achtet darauf, ob sie alt, jung oder schwanger sind. Diese Ereignisse liegen noch nicht lange zurück. Es ist bekannt, daß die Soldaten die Bauern von Yesilyurt gezwungen haben, ihren Kot zu essen. Aber ich will besonders betonen, daß sie vorher ihre schwangeren Frauen mit dem Wasserstrahl gequält haben. Trotz Wehen ans Bett gefesselt
In Idil hat man eine im neunten Monat schwangere Mathematiklehrerin unter dem Verdacht, sie habe in der Schule Flugblätter verteilen lassen, mit auf das Revier genommen. Sie wurde von Polizeiwache zu Polizeiwache geschleppt. Als ihre Wehen einsetzten, kam sie in das Krankenhaus von Diyarbakir, wo ich arbeite. Trotz des Widerstands der Ärzte hat man die kurz vor der Entbindung stehende Frau ans Bett gekettet. Wachhabende Soldaten warteten vor der Tür. Einige Tage liegt sie in dieser Stellung. Diese Lehrerin wird nach kurzer Zeit freigesprochen.
Ich möchte über eine weitere Erfahrung berichten. Ich bin Ärztin und habe fast zwei Jahre in Urfa gearbeitet. Vor drei Jahren hat mich die Gesundheitsbehörde in ein Dorf zur Gesundheitskontrolle geschickt. In Militärwagen, umringt von politischer Polizei, wurden zwei Krankenschwestern und ich in das Dorf Viransehir gebracht. Wir wußten nicht genau, warum, „zur Gesundheitskontrolle“, wurde nur gesagt. Als wir ankamen, haben wir den Grund erkannt. Militär und die politische Polizei hatten die Information, daß ein flüchtiger politischer Oppositioneller heimlich im Dorf verkehrte. Man verlangte von uns zu untersuchen, ob seine Frau schwanger war oder nicht. Wir protestierten, führten aber die Untersuchung durch. Die Frau war nicht schwanger. Wenige Monate nach diesem Ereignis wurde in Tunceli die Frau eines flüchtigen Oppositionellen auf Spermaspuren untersucht. Diese Beispiele könnte ich endlos fortführen. Kurdisch sprechen verboten
Jetzt komme ich zum Verbot der kurdischen Sprache. Die Mütter, die ihre Söhne im Gefängnis besuchen, können mit ihnen nicht sprechen, weil sie kein Türkisch beherrschen und Kurdisch verboten ist. Sie kommen schweigend zu Besuch und gehen wieder. Falls sie doch versuchen, in ihrer Sprache zu sprechen, bekommen sie Schläge mit den Gewehrkolben. Sie werden an den Haaren über den Boden gezogen, sie werden beschimpft. In Diyarbakir findet sich in jedem Haus einer, der einmal mitgenommen wurde und den Terror am eigenen Leib erfahren hat. Den Preis dafür zahlen immer die Frauen.
Zum Schluß möchte ich betonen: Wir sind der festen Überzeugung, daß nur im Sozialismus die Befreiung der Frau verwirklicht werden kann. Wir glauben, daß die Frau nur in sozialistischen Verhältnissen ihre Stärke und natürliche Eigenschaften entwickeln kann, daß sie nur in der sozialistischen Gesellschaft zu ihrer wahren Identität finden wird und über ihre Zukunft, ihr Leben und ihren Körper selber bestimmen kann.
Diese besseren Tage können wir nur im gemeinsamen Kampf des türkischen und kurdischen Volkes erreichen. Aber es ist ebenso wichtig, daß wir im Kampf für die Demokratie mehr Rechte erhalten. Ich zähle im folgenden die kurzfristigen Forderungen der kurdischen Frauen auf:
-Wir fordern, daß die Existenz des kurdischen Volkes und die Probleme der kurdischen Frau anerkannt werden. Wir verlangen ein Ende des Terrors, der Unterdrückung und der Folter in den kurdischen Gebieten.
-Wir fordern, daß es jedem freisteht, in seiner Muttersprache ausgebildet zu werden und sich in seiner Muttersprache frei zu äußern.
-Wir verlangen ein Ende der Assimilationspolitik.
-Wir fordern, daß die Mütter ihren Kindern die Namen geben dürfen, die sie ihnen geben wollen.
-Die kurdischen Frauen brauchen das Recht, sich organisieren zu dürfen. Dieses Recht muß von allen Frauen verteidigt werden.
Übersetzung: R.Schimmelpfennig
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen