Kohl schickt Geißler in die Wüste

Der Kanzler schlägt den CDU-Generalsekretär nicht mehr zur Widerwahl vor / Geißler bedauert: „Entscheidung gegen den Willen der Parteimehrheit“ getroffen / Der Geschaßte prognostiziert „Unruhe und Unzufriedenheit“ bei den Christdemokraten  ■  Aus Bonn Ferdos Forudastan

Kanzler Kohl trennt sich von seinem Generalsekretär Heiner Geißler. Nur einen Tag nach seiner Rückkehr vom Wolfgangsee wurde in Bonn bekannt, daß der Kanzler seinen Generalsekretär nicht mehr zur Wiederwahl beim Bundesparteitag Mitte September vorschlagen wird. Zur Nachfolge Geißlers will sich Kohl heute äußern.

Auf einer überraschend einberufenen Pressekonferenz bedauerte Geißler gestern diese Entscheidung, da sie gegen den erkennbaren Willen weiter Teile der Union gefällt worden sei und dadurch natürlich „Unruhe und Unfrieden“ in der Partei entstehen muß. Er habe dem Kanzler seine loyale Zusammenarbeit angeboten, dieser habe jedoch abgelehnt.

Der sichtbar verbitterte Geißler übte heftige Kritik an der Entscheidung von Helmut Kohl. Seiner Ansicht nach ist sie ein „Signal in die falsche politische Richtung“. Die CDU habe nämlich nur dann eine Chance, wenn sie, wie er das immer vertreten habe, modern und aufgeschlossen bleibe, wenn sie ihr eigenständiges Profil bewahre und nicht zum Erfüllungsgehilfen der Regierung werde. Er habe rechtzeitig zur letzten Wahl darauf hingewiesen, daß die Union keine Mehrheit mehr bei den Frauen und jungen Menschen habe und daß dies eine politische Existenzfrage der Partei sei. Für Geißler scheint der Entschluß Kohls auch die Gefahr in sich zu tragen, daß dadurch die Grenzen seiner Partei zu den „Republikanern“ weiter verwischt werden: Er, Geißler, sei immer für eine deutliche Abgrenzug gegenüber dem Radikalismus gewesen, dafür habe er Angriffe von rechts ertragen müssen. Dennoch bleibe er bei der Ansicht, daß die CDU die Themen von ganz rechts nicht aufnehmen dürfe. Auch deswegen sei die Entscheidung ein Signal in die falsche Richtung.

Auch Kohl selbst wurde von Geißler nicht verschont. Ohne danach gefragt zu sein, teilte er gleich zu Beginn mit, daß der Parteivorsitzende ihm seine Entscheidung mitgeteilt habe, ohne sie näher zu begründen. „Man will mich für die letzten Wahlniederlagen verantwortlich machen“, sagte Geißler. „Aber Erfolge bei Wahlen hängen vom Erscheinungsbild des Regierungschefs ab.“ Und schließlich verlas er ein Zitat von Kohl, in dem dieser seinen Generalsekretär dafür rühmt, daß er „von seiner Weltanschauung geprägt“, „aufrichtig“, „unbequem“ und „nicht einfach angepaßt“ sei. „Es sollte mir leid tun, wenn der Parteivorsitzende seine Kriterien nun anders setzt“, sagte Heiner Geißler dazu.

Gestern abend fand sich zunächst kein einziger CDU -Politiker, der die Entscheidung Kohls nicht kritisierte. Von Baden-Württembergs Ministerpräsident Späth wurde der Entschluß Kohls als „Signal in die falsche Richtung“ bewertet. Bundestagspräsidentin Süssmuth fand die Entscheidung „nicht nachvollziehbar“, beim CDA-Vorsitzendem Fink stieß sie auf „völliges Unverständnis“.

Nur die „Republikaner“ freuten sich: Sie werteten den Geißler-Sturz als Reaktion auf ihre Erfolge.