: Mini-„Modellprojekt“ für Flüchtlingskinder
■ Mehrere hundert Kinder von Asylsuchenden leben in Bremen im „Übergang“ und auf dem Bürgersteig
Sie heißen Amina oder Baschira, sehen munter und ein wenig verwildert aus. Viel Zeit am Tag verbringen sie mit 'Rum -Laufen auf den Bürgersteigen der Straße Am Dobben. Weitere Aufenthaltsorte sind ein Spielplatz in der Nähe und zwei ärmliche Zimmer, die die 13-köpfige Flüchtlingsfamilie Am Dobben 92 bewohnt. Was Amina und Bishara aus dem Libanon im Gegensatz zu deutschen Kindern bisher nicht für sich kennen, das sind Kinderzimmer, Kindergärten, Eltern-Kind-Gruppen und Schulen.
Denn als Kinder von Asylbewerbern leben sie monatelang in der „Erstunterkunft“ und im „Übergang“. Erst wenn entschieden ist, ob die Familie überhaupt in Bremen bleiben darf (was gestern mit positivem Bescheid geschah), wird eine angemessenere
Wohnung für die 13 gesucht und an Kindergartenplätze oder Einschulen gedacht. Auch nach einem dreiviertel Jahr Bundesrepublik können die Kinder höchstens ein paar Brocken deutsch, mit deutschen Kindern haben sie fast keinen Kontakt, auch nicht auf dem Bürgersteig oder auf dem Spielplatz.
Wieviel Kinder es unter den 750 Bremer AsylbewerberInnen in „Erstunterkünften“ gibt, ist bei der Sozialbehörde nicht bekannt. Allein im Bezirk Mitte/West wurden zwischenzeitlich über 120 Kinder gezählt. Damit diese Kinder in den Monaten oder Jahren des „Übergangs“ nicht völlig auf Bürgersteige verwiesen sind, haben Walter Behling und Herbert Holakowsky vom Amt für Soziale Dienste, erstmals Betreuung für diese Kinder initiiert. Für insge
samt fünf Kindergruppen in der Östlichen Vorstadt stehen bisher allerdings nur drei Stunden pro Woche zur Verfügung. Die Kinder aus den Häusern aus dem Ostertorsteinweg, Am Dobben sowie Außer der Schleifmühle treffen sich im Haus der Familie in der Schmidstraße.
Vier Frauen, zwei palästinensische und zwei deutsche, betreuen als Honorarkräfte seit dem Frühjahr die fünf Kindergruppen, als „viel zu wenig“ finden sie die Zeit, die sie für die Kinder aus dem Bürgerkriegsgebiet haben.
Das neue, dreistündige Angebot stieß bei den Kindern auf große Resonanz. Einige erschienen eifrig schon um 8 Uhr, obwohl's erst um 10 Uhr losgehen sollte. „Spielen“ wollen die Kinder nicht, sie kommen, um deutsch zu lernen. Die siebenjäh
rige Amina will „Ärztin“ werden. „Malen“ und „Spielen“ können die Kinder auch nicht recht, aus dem Libanon kennen sie vor allem den Krieg und die Bunker. Zur Schule sind sie dort nicht gegangen. „Ich konnte die Kinder doch im Krieg nicht auf die Straße schicken“, sagt Aminas Mutter. Ihr Vater sagt: „Das ist die Tragik, daß sie keine deutschen Freunde haben.“ Er vertraut jedoch auf die Zukunft, wenn seine Familie in mehr als zwei Zimmern lebt und in einem Haus, in dem auch deutsche Familien wohnen.
Gestern stellte Sozialsenator Henning Scherf auf einer Pressekonferenz die Betreuung der Asylbewerber-Kinder als „Modellprojekt“ vor. Deutlich wurde vor allem, wie wenig Mitteleinsatzes es in Bremen bedarf, um
einen engagierten Ansatz gleich als „Modellprojekt“ zu feiern. Einen eigenen Haushaltstitel für das „Modellprojekt“ gibt es beispielsweise bisher nicht. Die Honorarmittel für die vier Frauen , bescheidene 11.000 Mark pro Projekt, sind nur geliehen und eigentlich für Kindertagesheime gedacht. Die Verlängerung des „Modellprojektes“ über den 15. Oktober hinaus ist zudem noch nicht beschlossene Sache, aber wurde von Scherf angekündigt. Ungewiß ist auch noch das Vorhaben, das „Modellprojekt“ auf
Bremen-Nord und Gröpelingen auszuweiten. Nicht beschlossen, sondern nur geplant, ist ebenfalls, das Angebot für Amina und Bishara und die anderen Kinder aus der Östlichen Vorstadt zu verdoppeln. Dann gäbe es immerhin sechs Stunden in der Woche, wo Amina und Bishara und die anderen sich in Gruppenräumen treffen und deutsch lernen könnten. Wie schrieb doch der Senator in seiner Erklärung: „Wer wirklich Integration will, der muß bei den Kindern anfangen.“
Barbara Debus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen