: SÜSSWASSER FÜR TOURISTEN, SALZ FÜR DIE BAUERN
■ Die Wasservorräte nehmen ab in Spanien / Aus vielen Hähnen kommt nur noch Salzwasser / Schuld ist übermäßiger Verbrauch, vor allem durch Tourismus
Eine Musikkapelle hat sich auf dem Dorfplatz von Sorvilan eingefunden. Unter einem Baum sitzen auf Holzbänken die Musiker in blauen Uniformen und warten darauf, daß die Sonne untergeht und das Fest des Dorfheiligen Sankt Kajetan beginnt. Doch noch sind die Gassen menschenleer. Das Dorf hält Siesta, und nur das leise Stampfen der Mulis in den Ställen ist vernehmbar. Sorvilan, ein weißgekalkter Fleck inmitten der kargen Berge der unteren Alpujarra, ist ein Sorgenkind der andalusischen Landesregierung.
Seit Mai fließt bei den knapp tausend Einwohnern nur jeden zweiten Tag Wasser aus dem Hahn. Seit Juli reicht es noch nicht einmal dafür. Alle zwei Tage kommen seither zwei Tankwagen und bringen Trinkwasser ins Dorf. „Die Situation ist katastrophal“, klagt der junge Bürgermeister Matias Rodriguez Garcia. Bis vor zehn Jahren haben zwei Quellen das Dorf mit dem lebenswichtigen Naß versorgt. Doch dann nahmen die Regenfälle ab, und die Quellen versiegten. Von vier Brunnen, die daraufhin gegraben wurden, gibt inzwischen nur noch einer spärlich Wasser. Da die Dürreperiode in Spanien anhält, ist keine Besserung in Sicht. Verschärft wird das Problem durch die wirtschaftlichen Sorgen der Dorfbewohner: Für den Wein und die Mandeln werden immer geringere Preise bezahlt, und für andere Produkte eignet sich der Boden nicht. Die Jugendlichen emigrieren in die Städte, das Dorf stirbt.
Der Wassermangel ist in Sorvilan besonders spürbar. Doch das Problem berührt weite Teile Spaniens. Die Hauptursache liegt im zunehmenden Verbrauch, vor allem an den Küsten. Der Ausbau der intensiven Landwirtschaft und der Gewächshauskulturen beansprucht die Wasserreserven über die Maßen. Und vor allem der Tourismus hat den Wasserverbrauch extrem hochschnellen lassen. Mehr als 50 Millionen Touristen haben im vergangenen Jahr Spanien bereist. Für sie wird nicht nur Wasser zum Trinken und Duschen bereitgestellt, sondern es werden auch Schwimmbäder gebaut und Golfplätze angelegt, die ständig bewässert werden müssen. Die Folgen sind Wasserverknappung und -versalzung. Sobald der Grundwasserspiegel sinkt, fließt Meerwasser nach. In vielen Orten Kataloniens, der balearischen Inseln und der spanischen Südküste kommt mittlerweile Salzwasser aus dem Hahn.
Proteste gegen diese Entwicklung bleiben nicht aus. So weisen Hydrologen darauf hin, daß der Nationalpark Donana in Andalusien, das größte Naturschutzgebiet Spaniens, durch das Absinken des Grundwasserspiegels ernsthaft in seiner Existenz bedroht ist. Im vergangenen Sommer protestierten die Einwohner zweier katalanischer Dörfer gegen die Ableitung ihres Wassers an die Tourismuskomplexe an der Küste.
Und auch die Touristen selbst haben dieses Jahr an der Südküste gegen die Wasserverknappung protestiert. Ihr nächster Schritt wird wahrscheinlich die Abstimmung mit den Füßen sein. Und das ist genau, was die spanische Regierung am meisten fürchtet. Der Tourismus ist noch immer die größte Deviseneinnahmequelle und damit der einzige Faktor, der das wachsende Außenhandelsdefizit bremsen kann. Schon im Frühjahr hatte das „Sekretariat für Tourismus“ die ersten besorgniserregenden Zahlen über den Niedergang des Tourismus veröffentlicht. Der traditionelle Spanienurlaub scheint an Attraktivität verloren zu haben.
Dessen ungeachtet werden an den Küsten weiter Betonburgen hochgezogen, und die abnehmenden Wasservorräte werden für die Tourismusindustrie rücksichtslos ausgeschöpft. Daß die Behörden diesem Raubbau an der Natur auch in Zukunft keine Schranken setzen wollen, zeigt sich möglicherweise an Sorvilan.
Um den Wassermangel in Sorvilan und in seinen 13 Nachbardörfern zu beheben, hat die andalusische Landesregierung einen Plan ausgearbeitet, der vorsieht, Wasser aus dem Fluß Trevelez, der in der oberen Alpujarra entspringt, in die notleidende untere Alpujarra zu führen.
Unterhalb der Quelle des Flusses Trevelez liegt ein Ort gleichen Namens. Das Dorf lebt von einem bescheidenen Tourismus und von der Schinkenproduktion. In der großen Lagerhalle hängen Tausende abgehackter Schweinebeine, auch an jeder Kneipendecke hängen sie. Im Gegensatz zu Sorvilan sind die Berge in der Umgebung des Orts grün. Zwischen Bäumen und Büschen gluckern Rinnsale, und mitten im August führt der Fluß immerhin genug Wasser, daß die Kinder darin baden können. Der Fluß Trevelez ist der Ausgangspunkt für ein Bewässerungsnetz, das die Araber, die ehemaligen Herrscher Spaniens, vor 700 Jahren angelegt haben und das noch heute funktioniert. Schmale Gräben ziehen sich über Kilometer auf immer gleicher Höhe die Berghänge entlang. Die Bauern, die im Tal unterhalb der Gräben Felder haben, zapfen dort das Wasser ab. Ein Teil des Wassers versickert aus den Gräben in die Erde und hält sie feucht. Dadurch ist ein breiter Grüngürtel gewachsen, der sich an den Gräben entlang über die Hügel zieht. Dieser Streifen aus Bäumen und Büschen verbessert nicht nur das Klima, sondern verhindert auch die Bodenerosion, die sonst diese Gegend kennzeichnet. Doch für die andalusische Landesregierung ist das Wasser, das dort versickert, schlicht verschwendet. Sie will statt dessen Rohre legen, die das Naß ohne unkontrollierte Verluste den Benutzern zuleiten. Durch eines dieser Rohre soll Wasser bis in die untere Alpujarra fließen, um Sorvilan und seine Nachbardörfer zu versorgen.
Doch das Projekt hat Proteste ausgelöst. „Wenn die Gräben zubetoniert werden“, erklärt Paco del Rio von der linken Organisation „Alternative Stadt“ in Granada, „dann sind die Berge hier bald genauso trocken wie in der unteren Alpujarra. Damit ist nichts gewonnen.“ Daß der Fluß während der Sommermonate ausreichend Wasser führt, um weitere Abnehmer zu versorgen, bestreiten die Einwohner von Trevelez. „Wir glauben auch nicht, was die Landesregierung sagt, daß wir weiterhin soviel Wasser erhalten werden, wie wir brauchen“, erklärt Alfredo Mangano von der Umweltschutzgruppe der Alpujarra. „Wir werden es uns mit den Neuabnehmern teilen müssen, und dann reicht es für uns nicht.“
Die Bewohner von Trevelez bezweifeln auch, daß es nur um die Eigenversorgung der Dorfbewohner der unteren Alpujarra gehen soll, wie das Projekt angibt. „Du glaubst doch selber nicht“, entrüstet sich Paco del Rio, „daß die Landesregierung mehr als 40 Millionen DM ausgibt, um 15.000 verarmte Einwohner der unteren Alpujarra mit Trinkwasser zu versorgen!“ In Wirklichkeit, so die Befürchtung in Trevelez, solle das Wasser zu den Touristenkomplexen an der Küste geleitet werden. Der Eigenbedarf der Dörfer der unteren Alpujarra, so der Bürgermeister von Sorvilan, beträgt zur Zeit 75 Liter pro Sekunde. Doch da man solche Projekte auf die Zukunft hin planen müsse, sei eine Wasserzuführung von 220 Litern pro Sekunde vorgesehen. Wieso aber der Wasserbedarf von Dörfern, denen der Bürgermeister keine Chance für eine nennenswerte wirtschaftliche Entwicklung einräumt, innerhalb der nächsten 30 Jahre auf das Dreifache steigen soll, kann er nicht erklären. Das tut an seiner Stelle ein junger Student aus Sorvilan: „Hier wartet alles auf das Wasser, damit Siedlungen für Touristen gebaut werden können.“ Zehn Kilometer sind es von Sorvilan zum Meer. Nahe genug. Auch in Castell de Ferro, dem nächstgelegenen Küstenort, hofft man offensichtlich auf das Wasser des Trevelez. Der Touristenort hat kein Trinkwasser. Aus den Hähnen kommt eine gallebittere Flüssigkeit. Doch am Rand des Orts werden gerade 700 Luxuswohnungen für Touristen gebaut. „Auf alle Fälle könnte die Zuführung von Wasser aus dem Fluß Trevelez für die Dörfer der unteren Alpujarra die Wasserversorgung für die dort lebenden Personen sichern“, heißt es in einem Artikel der lokalen Zeitung.
Der Streit zwischen der Landesregierung und den Bewohnern von Trevelez geht weiter. Die Landesregierung ist fest entschlossen, die geplante Wasserumleitung durchzuführen. Alternativvorschläge von Ökologiegruppen, die eine autonome Wasserversorgung der unteren Alpujarra anstreben, wurden nicht in Betracht gezogen. Unterdessen schreitet die Versalzung der Brunnen fort.
Antje Bauer
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