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Was heißt Widerstand heute?

■ Streitgespräch zwischen dem Expartisanen und langjährigen PCI-Abgeordneten Giuseppe („Pino“) D'Alema und dem Grünenabgeordneten Sergio Andreis

taz: Als sich Italiens Studenten 1968 und die Arbeiter 1969 an ihre Revolten machten, gab es bei allen sichtbaren Differenzen noch einen von allen anerkannten Bezugspunkt: die Resistenza, den Widerstand gegen den Nazifaschismus der frühen vierziger Jahre. Die Resistenza hat die - bis heute geltende - Verfassung ebenso geprägt wie die Arbeiterkämpfe der Nachkriegsgeschichte, und die jungen Studenten und Gewerkschafter Ende der sechziger Jahre nahmen noch ganz selbstverständlich darauf Bezug. Heute gilt diese Gemeinsamkeit längst nicht mehr, doch von „Widerstand“ reden sowohl die Verfechter des neuen PCI-Kurses einer harten Opposition als auch die Grünen mit ihrem „ambientalistischen Ungehorsam“. Was bedeutet Widerstand heute, was hat er in eurer Entwicklung bedeutet - für dich Pino, 72, Expartisan, und dich Sergio, halb so alt und mit einem Jahr Gefängnis wegen Kriegsdienstverweigerung auf dem Buckel?

Giuseppe D'Alema: Zunächst hat Widerstand für mich Antifaschismus bedeutet. Also nicht nur die konkrete Aktion gegen die deutschen Besatzer, sondern Intoleranz gegenüber der Diktatur. Unser Leben bestand damals im versteckten, verdeckten Diskutieren, gleichzeitig wuchs schon im Jugendalter ein mächtiges Klassengefühl. Ich bin in der Emilia Romagna aufgewachsen, wo es große Industrien gibt: Da hat man bald gelernt, daß der Faschismus eine Sache politischer und vor allem ökonomischer Klassen war. Ich selbst wurde aus kulturellen, klassenspezifischen Gründen Antifaschist - und aufgrund eines starken Freiheitswillens.

In welchem Alter?

Giuseppe D'Alema: Sehr jung, im Gymnasium schon. Da haben sie mich nach einem systemkritischen Artikel hinausgeworfen und meine Aufnahme in jeglicher anderer Schule verboten. Natürlich bin ich trotzdem auf die Uni gegangen, habe dort viele Kontakte zu anderen Antifaschisten bekommen, nicht nur zu Kommunisten, auch zur katholischen Opposition, zu den Intellektuellen.

Wir kennen in Deutschland faktisch nur den Widerstand der Stauffenbergs und Goerdelers im letzten Moment; Leute, die eher zur Vornazizeit als zur Demokratie wollten. Wie war das bei euch?

Giuseppe D'Alema: Das ist genau der Unterschied: Niemand wollte bei uns zurück zum alten großbürgerlich-liberalen System. Wir wollten die Demokratie: Der Antifaschismus war eben nicht nur „anti“, sondern er war gleichzeitig der Kampf für eine andere, neue Idee. Und das ist auch der Grund, warum er so lange getragen, so lange unser politisches System bestimmt, die 68er noch genauso inspiriert hat wie seinerzeit uns. Auch wenn die Studenten und Arbeiter 1968 etwas anderes unter Resistenza verstanden als wir und auch wir, gerade als Kommunisten, erst mal erkennen mußten, daß wir viel von unseren Erfahrungen offenbar nicht genügend vermittelt hatten. Ich habe die Partei damals in Genua geleitet, genau da, wo die neue Resistenza entstanden ist, und gestehe diesen Defekt aufrichtig ein. Doch im Grunde ging es den 68ern noch um die Einlösung dessen, was während des Antifaschismus vorgedacht und nach dem Krieg versprochen worden war.

Sergio, du mit deinen 35 Jahren - beziehst du noch Ideen und Vorbilder aus der Resistenza und dem Antifaschismus?

Sergio Andreis: Irgendwie habe ich ein bißchen Schwierigkeiten mit so einem Stück machtvoller Geschichte, wie Pino es darstellt; das mal im voraus gesagt. Ich komme aus Brescia, wo Resistenza, Antifaschismus, auch Anarchismus ebenfalls eine enorme Tradition haben, wobei die vorherrschende Tradition des Widerstands aus der katholischen Welt kam, von Bischöfen, Kardinälen, auch vielen Priestern, die zu den Partisanen gegangen waren. Aber zur Zeit meiner politischen Prägung, gerade Ende der sechziger Jahre, war dieser Antifaschismus bereits zu etwas Vergangenem geworden, er hatte kein Leben mehr in sich. Richtig ist, daß auch wir uns an vielen Elementen ausgerichtet haben, für die Leute wie du, Pino, gekämpft haben und die noch immer nicht eingelöst sind. Aber gleichzeitig hat uns eben die Erfahrung gefehlt, die ihr gemacht habt, nämlich der Kampf, den ihr geführt habt, der Widerstand gegen einen übermächtigen Besatzer und später gegen einen übermächtigen politischen, von den USA gestützten Gegner wie die Democrazia Cristiana. Du sprichst vom Massencharakter eurer Bewegung damals; für uns 68er und vor allem für uns Grüne ist das grundlegende Element weniger die Massenhaftigkeit als die Kraft, Überzeugungen zu schaffen; du sprichst vom Klassencharakter des Kampfes; wir sind aufgewachsen in einer Gesellschaft, in der das Klassenmodell längst in eine ideologische Krise geraten war. Du sprichst von den großen Kollektiverlebnissen, wir sind mit der Sucht nach Individualismus aufgewachsen...

Giuseppe D'Alema: Ecco, das ist sicher einer der ganz großen Unterschiede und einer der Gründe, warum die Idee der Resistenza dann zerflossen ist.

Sergio Andreis: Da haben sich zweifellos zwei verschiedene Welten entwickelt.

Habt ihr nicht irgendwann mal die Vorstellung gehabt, daß ihr Alten und Jungen euch noch etwas zu sagen habt?

Sergio Andreis: Also, bei mir war und ist das so, daß mir immer wieder aufrichtige Ehrfurchtsschauder kommen, wenn ich deren Kraft sehe. Ich fühle in mir große Wertschätzung für alles, was sie getan und gewagt haben. Aber wenn meine Großväter erzählt haben, war das immer wie ein Märchen für mich, nicht mehr etwas, dessen Erleben ich nachvollziehen konnte.

Wolltet ihr werden wie die Großväter?

Sergio Andreis: Nein, das eigentlich nicht. Schon deshalb, weil es bald so viele Elemente gab, die in der Geschichte der Partisanen und Antifaschisten nicht vorkamen und auch noch nicht vorkommen konnten - Frauenbewegung zum Beispiel, Sexualbefreiung, Umweltschutz, Friedensbewegung. Das sind neue Elemente, wo wir mit den alten Ideen nicht weiterkommen.

Giuseppe D'Alema: Und ihr hattet absolut recht, da nicht mehr auf uns zu hören. Da wußten wir lange nichts davon. Was nicht heißt, daß wir nicht umgekehrt gelernt und unsere Ideen mittlerweile auch weiterentwickelt hätten...

Sergio Andreis: Sicher, zumindest ein Teil von euch...

Giuseppe D'Alema: Klar, nur ein Teil; Verkalkte gibt's bei uns zuhauf. Schau, ich war der erste Regionalsekretär, der in Italien ein Atomkraftwerk durchgesetzt hat - und ich war der erste, der wieder dagegen auf die Barrikaden gegangen ist, als sich die Gefährlichkeit herausgestellt hat; und das war, wie du weißt, lange vor euch...

Sergio Andreis: Unbestritten. Aber du wirst zugeben, daß du da die Ausnahme warst, und zwar sowohl in der Partei wie in deinen Jahrgängen.

Giuseppe D'Alema: Ja, leider.

Sergio Andreis: Ich möchte aber hier gleich noch ein weiteres Argument einbringen: das der Methoden des Kampfes und damit des Widerstands. Widerstand ist für uns mehr eine Arbeitsmethode als eine Form der Auseinandersetzung; wir leisten Widerstand mit individuellem zivilen Ungehorsam, mit ostentativer Gewaltlosigkeit gegenüber staatlicher Gewalt und nicht mit machtvollen, unter Umständen gar gewalttätigen Massenaufmärschen.

Giuseppe D'Alema: Das zeigt aber doch lediglich, daß ihr unter anderen Umständen lebt als wir...

Sergio Andreis: Absolut. Ich habe ja selber ein Jahr wegen Kriegsdienstverweigerung - was damals noch in Italien strafbar war, mittlerweile ist es das nicht mehr abgesessen; aber ich war zum Beispiel 1983 in Nicaragua und habe in einer Kirche mit katholischen Kräften und sandinistischen Kombattanten diskutiert: Da ist mir natürlich klargeworden, daß unter den Umständen, in denen die dort leben, Widerstand etwas ganz anderes heißt als Kriegsdienstverweigerung. Aber hier, unter unseren Umständen, sehe ich heute Widerstand nach unserer Art als den sinnvollen Weg an.

Giuseppe D'Alema: Was ich auch besonders an euch schätze es ist wohl auch die Lehre aus dem leichten Weg, der für viele in den Untergrund und zum Terrorismus geführt hat.

Sergio Andreis: Sicherlich auch.

Seht ihr denn den bewaffneten Kampf als direkte Konsequenz der endsechziger Jahre an, wie das so gern getan wird?

Giuseppe D'Alema: Nein, aber als eine Konsequenz nicht weiter entwickelter Ideen und auch auf unserer Seite zu geringer Vermittlung unserer Erfahrungen an die nachfolgende Generation.

Sergio Andreis: Für uns war der Terrorismus sicherlich die größte Herausforderung - der Versuch, was wir pazifistisch, gewaltlos durchsetzen wollten, mit Gewalt zu durchkreuzen. Und ehrlich gesagt, hat uns diese Auseinandersetzung in viele Krisen gestürzt, und es hat lange gedauert, bis uns wirklich ganz klar war, daß der Staat eher unseren Aktionen und Zielen hilflos ausgeliefert ist als dem der Roten Brigaden.

Das Gespräch führte Werner Raith

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