: Angst vor Ratten bei Erörterung
■ Erster Tag der Anhörung um die Wiederinbetriebnahme des AKW Mühlheim-Kärlich am Nachmittag abgebrochen / Leibesvisitationen vor dem Einlaß / Polizei engagierte Anti-AKW-Songgruppe
Mülheim-Kärlich (taz) - „Angst vor Schlangen und Ratten“ herrschte am Montag zum Auftakt des Erörterungsverfahrens um eine neue erste Teilerrichtungsgenehmigung für das derzeit stillgelegte Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich bei Koblenz. So jedenfalls begründete die Sprecherin des Mainzer Umweltministeriums, Judith Hill von Gordon, das martialische Sicherheitsaufgebot, mit dem die Mülheimer Rheinlandhalle abgeriegelt worden war. Um zu verhindern, daß „wie in Wackersdorf Ratten und Klapperschlangen“ mit zur Anhörung gebracht werden, hat das rheinland-pfälzische Umweltministerium eigens eine Werkschutztruppe aus Frankfurt angeheuert.
Am späten Nachmittag wurde der erste Anhörungstermin abgebrochen. Knapp hundert der EinwenderInnen gegen eine Wiederinbetriebnahme des Reaktors waren in den Saal eingedrungen, ohne sich zuvor den schikanösen Leibesvisitationen und einem von einer Privatfirma vorgenommen EDV-Datenabgleich zu unterziehen. Zuvor war der Erörterungstermin quasi unter Ausschuß der Gegner des Meilers abgelaufen. Während Vertreter der Betreibergesellschaft RWE zuvorkommend behandelt wurden, sollte sich alle EinwenderInnen vor Betreten des Gebäudes einer ausführlichen Leibesvisitation und einer Taschenkontrolle unterziehen. Der Anwalt der ebenfalls gegen die Teilerrichtungsgenehmigung klagenden Stadt Neuwied, Reiner Geulen, nannte die Kontrollen und den Datenabgleich ein in der deutschen AKW-Geschichte einmaliges Vorkommen.
Der Atomreaktor Mülheim-Kärlich - mit geschätzten Baukosten von mehr als sieben Milliarden Mark das teuerste AKW der Republik - steht seit letzten September still, nachdem das Berliner Bundesverwaltungsgericht die entscheidende erste Teilerrichtungsgenehmigung für illegal erklärt und damit erstmals in der deutschen AKW-Geschichte eine komplette Atomgenehmigung kassiert hatte. Hintergrund der Stillegung sind wesentliche, von der Betreibergesellschaft RWE nachträglich zur ersten TEG vorgenommene Änderungen an der Anlage. So wurde nachträglich der Standort des Meilers um 70 Meter verlegt, obwohl bereits zum Zeitpunkt der ersten TEG bekannt war, daß der ursprünglich geplante Standort auf einer geologischen Verwerfungslinie und damit erdbebengefährdet angesiedelt war.
Die Landesregierung und die RWE ließen von Anfang an keinen Zweifel an ihrer Auffassung, daß die Berliner Richter lediglich „Verfahrens- und Formfehler“ moniert hätten, die „juristisch heilbar“ seien. Anträge des Anwalts Geulen, die Leibesvisitationen zu stoppen sowie mit dem Verhandlungsbeginn zu warten, bis die EinwenderInnen den Saal betreten könnten, hörte sich die Verhandlungsleitung erst gar nicht an. Sie verließ die Halle. Ein Befangenheitsantrag gegen Verhandlungsleiter Rebentisch vom Mainzer Umweltministerium wurde am Nachmittag vom Umweltministerium abgebügelt.
Die Polizei verblüffte unterdessen mit einer bislang wohl einzigartigen Strategie der „Deeskalation“: Auf Rechnung der Polizei spielte vor der Halle eine Folk-Gruppe Anti-AKW -Songs, um die Einlaß begehrenden AKW-GegnerInnen zu besänftigen. In der Halle wurde in den Pausen sanfte Barockmusik eingespielt. Beim Eindringen der EinwenderInnen kam denn auch kaum Widerstand von Seiten der Polizei. Das Verfahren wird am Dienstag fortgesetzt.
Thomas Krumenacker
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen