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Keine wirkliche Bonner Hilfe für Polen

Kohl zögert Polenreise weiter hinaus / 50 Jahre nach dem deutschen Überfall kein Ende der Grenzdebatte / Wegen Polen riskieren die Liberalen keinen Koalitionsstreit - es gibt Wichtigeres, auch am 1. September 1989 / Eine aufschlußreiche „Gedenkstunde“  ■  Von Forudastan/Wiedemann

Noch bevor in der morgigen Gedenkstunde des Bundestags ein Wort gesagt worden ist, hat der Titel der Veranstaltung alles gesagt: „Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung aus Anlaß des 50. Jahrestages des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs.“ Deutscher Angriffskrieg, deutsche Schuld und deutsche Last? 50 Jahre, nachdem die Wehrmacht angeblich zurückgeschossen hat, gibt sich die regierungsamtliche Version der Geschichte distanziert unbeteiligt: Der Krieg ist eben „ausgebrochen“. Niemand unter den bundesdeutschen ParlamentarierInnen findet es beschämend, sich unter diesem Titel zu versammeln.

Zur Entlastung kann auf Weizsäcker verwiesen werden, den guten Deutschen für Gedenktage. In seiner Botschaft an den polnischen Staatspräsidenten sprach er von der „Entfesselung“ eines „Angriffskriegs“. Und damit nimand mehr fragt, warum sich der gute Deutsche nicht gegen den Einspruch der CSU ermannte, an diesem Tag in Polen zu sein, wird daheim eine Gedenkstunde für die Medien zelebriert auch ein „Anlaß“ - der wichtigere vermutlich.

Wenn sich die Redner der Altparteien morgen pflichtschuldig an die Brust klopfen, wird das gleichzeitig ein Klopfen auf die gefüllte Brieftasche sein. Polen, das Opfer deutscher Vernichtung, steht heute als Bettler an der Pforte der reichen EG-Macht Bundesrepublik - seinem größten Gläubiger und Handelspartner. Da können die Bedingungen der Versöhnung diktiert werden: Wo Polen auf den Knien liegt, muß kein deutscher Politiker das Knie mehr beugen. Bei Kohl reichte es selbst für eine leichte Verbeugung nicht.

Die Versöhnung mit dem polnischen Volk würde im 50. Jahr nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen mit dieser Reise besiegelt - so hatte Kohl getönt, und sein damaliger Regierungssprecher Ost hatte angekündigt, die Reise finde „möglichst vor dem Jahrestag des Kriegsbeginns statt“. Helmut Kohl ist bis heute nicht gereist. Ein genauer Termin steht noch immer nicht fest. Auch weiterhin wird dieser Besuch dazu mißbraucht, den Polen zu zeigen, daß Bonn um Vergebung nicht bittet und daß es Versöhnung ebensowenig umsonst gibt wie Hilfe.

„Meinungsverschiedenheiten über finanzielle Fragen“ und „erhebliche Veränderungen“ in der polnischen Führung - so begründete die Bundesregierung Anfang Juli, weshalb Kohl nicht zum Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen nach Warschau reisen würde. Vorausgegangen war zunächst ein beschämendes Gezerre Bonns um Einzelheiten bundesdeutscher Finanz- und Wirtschaftshilfe für Polen - dem Land also, das die Deutschen ausgebeutet, dessen Infrastruktur sie weitgehend vernichtet, deren jüdischen Bevölkerungsteil sie fast vollständig ermordet hatten und das sich bis heute nicht von dieser Zerstörung erholen konnte. 40 Milliarden Dollar Schulden hat es heute im Westen, sechs Milliarden Rubel im Osten, um 200 Prozent nimmt die Kaufkraft des Sloty dieses Jahr ab, die Versorgungslage ist verheerend - für die Bundesregierung ausschließlich ein Ergebnis sozialistischer Mißwirtschaft, dafür kann man schließlich nichts, dafür muß man auch nicht büßen. Über zwei Milliarden Mark staatliche Exportbürgschaften, das sei doch unrealistisch, unannehmbar. Solche Argumente hatte Helmut Kohl den Forderungen Polens entgegengehalten und statt dessen ein Zehntel geboten und dies auch nur für Projekte, die- nach der Einschätzung Bonns! - „aussichtsreich“ seien. Überdies hatte der Kanzler seine Reise angeblich auch verschoben, weil die Lage der deutschen Minderheit sich zuvor weiter verbessern müsse und die „Entscheidungsprozesse“ über die künftige Spitze von Staat und Partei noch unklar seien. Was der deutsche Überfall auf Polen vor 50 Jahren allerdings mit Fragen wie zwei Milliarden oder dreihundert Millionen, ein deutsch -polnisches Kulturinstitut mehr oder weniger, Jaruzelski oder Walesa zu tun haben - dies zu erklären, versuchte die Bundesregierung nicht einmal. Keinen Zweifel hingegen ließ sie darüber aufkommen, welch wirkungsvolles Druckmittel sie in der Reise nach Warschau und den daran geknüpften Hoffnungen der Polen auf Hife sieht: Kanzlerreise/Geld, wenn ihr mit letzterem macht, was wir wollen. Kanzlerreise/Geld, wenn ihr die Deutschen in eurem Land so hegt, daß wir über den Verlust der ehemals deutschen Ostgebiete hinwegsehen können. Kanzlerreise/Geld, wenn eure Kommunisten endgültig abtreten.

Den Polen zeigen, daß man nicht als einer kommt, der um Vergebung bittet, sondern als einer, der um Hilfe gebeten werden will - nicht nur im Stück „Kanzlerreise“ ist dies der rote Faden. Eine geplante Polenreise des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker hatte die CSU hartnäckig und erfolgreich bekämpft. Mit Mühen setzte Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth durch, daß eine Delegation mit Vertretern fast aller Bundestagsfraktionen am 1. Dezember Warschau besucht. Die CDU hatte sich lange gesträubt und muß nun - in Gestalt des weithin unbekannten Jürgen Rüttgers - die bayerische Schwesternpartei mitvertreten. Der CSU blieb der Gedanke, am 1. September in Warschau präsent zu sein, nämlich fremd. Sie befürchtete, so die außenpolitische Sprecherin Michaela Geiger, es sei nicht gewährleistet, daß bei den polnischen Veranstaltungen nicht „allein die Deutschen an den Pranger gestellt werden“. Die Polen wissen lassen, da kommt einer, der fühlt sich eigentlich nicht im Unrecht, der schämt sich auch nicht mehr - das kategorische Nein der Bundesregierung zur symbolischen Entschädigung fast 700.000 polnischer ZwangsarbeiterInnen ist auch in diesem Zusammenhang zu sehen. Und schließlich wird gerade im Vorfeld des 1. September die revanchistische Debatte um die Westgrenze Polens wieder angeheizt: Finanzminister Theo Waigel befand vor einigen Monaten, die deutsche Frage sei noch offen, und zu ihr gehörten auch alle Gebiete jenseits Oder und Neiße. Die Vertriebenenverbände jubelten, der Kanzler rang sich auf die heftige öffentliche Kritik mühsam ab, allein vom juristischen Standpunkt aus gesehen, habe Waigel recht.

50 Jahre nach dem Überfall auf Polen müßte sich die Feder sträuben, daraus eine Nachricht zu machen: Der deutsche Bundestag erkennt die Gültigkeit der polnischen Westgrenze an. Doch das scheinbar Selbstverständliche, das Minimum auf der Skala der Versöhnung, ist das Optimum geworden, was sich von der morgigen Sitzung erwarten ließe. Dies einzufordern, erscheint den Liberalen und den Sozialdemokraten bereits als politisches Wagnis. Die FDP-Politikerin Adam-Schwaetzer kündigte vor Wochen an, der Bundestag müsse sich am 1. September jene Erklärung der polnischen und deutschen Katholiken zu eigen machen, in der es heißt, „daß die Westgrenze Polens dauerhaften Bestand hat“. Die CSU winkte ab, das ließe sich wohl kaum realisieren. Stillschweigend ließen die Liberalen ihr Ansinnen fallen. Wegen der polnischen Grenze riskiert kein Liberaler einen Koalitionsstreit - auch nicht am 1. September 1989. Und die Sozialdemokraten? Auch sie werden in feierlichen Anzügen die Reihen der Veranstaltung füllen.

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