Mit Liebe zur feministischen Theorie

■ Welche Denkmodelle und Konzepte eignen sich, um die Erfahrung des weiblichen Lebenszusammenhangs auf den Begriff zu bringen? „Denkverhältnisse“ spiegelt die Entwicklung der feministischen Theorie in den USA wider.

Dieser Wunsch nach Wissen ist vielleicht in letzter Konsequenz eine Art der Liebe“, so Susan Griffin in ihrem Epilog zu der von Elisabeth List und Herlinde Studer herausgegebenen Textsammlung „Denkverhältnisse - Feminismus und Kritik“. Eine gehörige Portion Liebe zur theoretischen Erkenntnis sollte frau zweifellos mitbringen, wenn sie sich dieses fast 600 Seiten dicke Buch zu Gemüte führen will. Ist doch der gemeinsame Nenner aller 17 Beiträge dieses Bandes die Frage, „welche theoretischen Modelle und Konzepte geeignet wären, die Erfahrung des weiblichen Lebenszusammenhangs und der feministischen Praxis auf den Begriff zu bringen“. Daß theoretisches Denken unverzichtbarer Bestandteil des Feminismus ist, dokumentiert diese Publikation am Beispiel der Entwicklung feministischer Theorie in den Vereinigten Staaten.

Die Texte - übrigens alle schon im Laufe der letzten zehn Jahre andernorts erschienen - stellen das androzentische Selbstverständnis der etablierten Wissenschaften, speziell der Philosophie und Sozialwissenschaften, zur Diskussion. In ihrer Einführung steckt Elisabeth List den theoretischen Bezugsrahmen für die folgenden Beiträge ab. Wo die „traditionelle Theorie“ Objektivität und Universalität vorgibt, argwöhnt die feministische Kritik die Verknüpfung von Wissenschaft und Männlichkeit. Feministische Theorie kann sich daher keinesfalls auf die Kritik der „traditionellen Theorie“ beschränken, sondern richtet sich auf das Ensemble traditioneller „Denkverhältnisse“. Somit rückt das Spannungsverhältnis zwischen wissenschaftlicher, ideologischer und politischer Praxis ins Blickfeld feministischer theoretischer Arbeit.

Die Artikel des Buches sind drei Schwerpunkten zugeordnet: Teil I: Feministische Theorie im Überblick, Teil II: Feministische Wissenschaftskritik; Teil III: Vernunft auf dem Prüfstand. Quer zu dieser Gliederung gibt es jedoch vielfältige thematische und inhaltliche Verbindungen zwischen den einzelnen Beiträgen, so daß diese Dreiteilung als Versuch erscheint, das Textmaterial wenigstens einigermaßen zu bändigen.

Ins Herz der aktuellen Diskussion um den Status feministischer Theorie trifft der Eingangstext von Iris Young. Er dreht sich um die Kontroverse zwischen „humanistischem Feminismus“ und „gynozentrischem Feminismus“. Hierzulande wird diese Polarität eher mit dem Begriffspaar Egalität versus Differenz gefaßt. Während für die humanistische Version des Feminismus die Ursache der Unterdrückung der Frau in der traditionellen „Weiblichkeit“ liegt, ist sie für die gynozentrische in der Abwertung der weiblichen Natur und deren Aktivitäten durch die patriarchale Kultur zu suchen. Seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wird die bis dahin vorherrschende humanistische Konzeption von der gynozentrischen in den Hintergrund gedrängt (Zum Vergleich: In Frankreich fand schon nach '68 eine Abkehr von egalitären Positionen statt). In differenzierter Weise wägt Young die beiden Positionen, ihre analytischen Möglichkeiten als auch ihre Vor- und Nachteile für eine feministische Politik gegeneinander ab. Ausführlich setzt sich die Autorin auch mit Simone de Beauvoirs Buch „Das andere Geschlecht“ auseinander, der theoretisch fundiertesten Ausarbeitung eines humanistischen Feminismus. Harte Kritik an Beauvoir

Hart ins Gericht mit diesem Klassiker feministischer Theorie gehen Alison Jaggar und William McBridge in ihrem Beitrag „Reproduktion als männliche Ideologie“. Sie kreiden Beauvoir an, daß sie die Mißachtung und Abwertung des Reproduktionsbereichs im Marxismus noch verschärft. Dieser Text sowie der Catharine MacKinnons machen deutlich, daß die marxistische Theorie nach wie vor eine zentrale Herausforderung für die feministische Kritik darstellt. Jaggar/Bridge kritisieren die marxistische Dichotomie zwischen Produktion und Reproduktion. Danach wird die Produktion als eine Tätigkeit aufgefaßt, die Möglichkeiten des historischen Fortschritts und der Entwicklung in sich birgt, während die Reproduktion - also etwa Fortpflanzung und Betreuung - als ahistorisch und „naturwüchsig“ erscheint. Somit wird ihrer Auffassung nach der Arbeits- und Existenzbereich von Frauen verzerrt und herabgewürdigt. Die AutorInnen schlagen einen alternativen, begrifflichen Ansatz vor: Die als Reproduktion bezeichneten Tätigkeiten sind vollwertige Formen menschlicher Arbeit und sollen ebenfalls als Produktion begriffen werden. Hierbei gehen sie allerdings von einem humanistischem Arbeitsbegriff aus, der völlig von den kapitalistischen Arbeitsbedingungen abstrahiert.

Beispiel für einen produktiven Umgang mit marxistischen Kategorien ist der Beitrag von Dorothy Smith zum Thema „Eine Soziologie für Frauen“. Sie geht von einer Bruchstelle aus zwischen den Erfahrungen von Frauen und den gesellschaftlichen Bewußtseinsformen, in denen Erfahrung ausgedrückt wird. Denn diese werden von Männern erzeugt und kontrolliert. Mit Hilfe des Marxschen Ideologiebegriffs kann Smith faßbar machen, wie es zwischen der Welt, in der Erfahrung unmittelbar erkannt und mit anderen geteilt wird, und den Ideen und Bildern, die außerhalb der Alltagswelt entstehen und als Mittel des Denkens und Vorstellens der Welt zur Verfügung gestellt werden, zu einem Bruch kommen kann. Auch in der Soziologie fehlt es an Begriffen und Analysemethoden, um den spezifisch weiblichen Erfahrungen einen adäquaten Ausdruck zu verschaffen. Als Alternative zu dem Ausschluß der Frauen aus dem soziologischen Diskurs setzt Smith die Alltagswelt als Ausgangspunkt einer soziologischen Problematik.

Eine disziplinübergreifende Wissenschaftskritik unternimmt Evelyn Fox Keller in ihrem Beitrag „Feminismus und Wissenschaft“. Es geht ihr um die Infragestellung der Grundlagen wissenschaftlichen Denkens, der Prinzipien von Objektivität und Rationalität. Bei dem Bemühen, deren androzentrische Implikationen zu erforschen, bezieht sie sich auf psychoanalytische Theorien der Persönlichkeitsentwicklung. So ist die männliche Geschlechtsidentität, deren wesentliche Merkmale Autonomie und Objektivität (Trennung des Subjekts vom Objekt) sind, mit Herrschaftsansprüchen in der wissenschaftlichen Erkenntnis verknüpft.

Der Zusammenhang zwischen Geschlechtsidentität und Rationalitätskonzeptionen beschäftigt auch Sandra Harding. Ebenso wie Keller stützt sie ihre Argumentation mit Hilfe der Geschlechtsidentitätstheorien von Dinnerstein und Chodorow ab. Demnach verlaufen die Ablösungs- und Individuierungsprozesse von der Mutter bei männlichen und weiblichen Kleinkindern, bedingt durch die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, unterschiedlich ab. Sie führen auf der einen Seite zu einer männlich objektivierenden Rationalität, auf der anderen Seite zu einer beziehungsorientierten Rationalität der Frau. Bergen diese Thesen auch die Gefahr einer Substantialisierung des Weiblichen in sich, so ergeben sie doch interessante Fragestellung für die Philosophie, wie es Harding am Ende ihres Textes zeigt. Feministische Tabuthemen

Zum Themenkomplex: Pornographie - Erotik - Herrschaft Unterwerfung gibt es anregende Beiträge von Eva Feder Kittay und Jessica Benjamin. Beide werfen Probleme auf, die an feministische Tabuthemen rühren. Unter Bezug auf den Kantschen Imperativ weist Kittay die moralische Verwerflichkeit der Pornographie nach. Zu Ende ihres Aufsatzes läßt sie sich aber auf die weitaus interessantere Diskussion zum Verhältnis von Erotik und Herrschaft ein. Die Untersuchung der Beziehung zwischen Erotik und Macht gibt Aufschluß darüber, so Kittay, wie Sexualität und Gewalt etwa in der Pornographie oder der Vergewaltigung miteinander verknüpft sind. Sexuell ausgedrückte Formen der Gewalt, so ihre These, sind Extreme der in der Sexualität angelegten destruktiven Möglichkeiten.

An solche Grenzbereiche zwischen Erotik und Herrschaft wagt sich auch Benjamin heran. Sie stellt Überlegungen dazu an, wie es zur freiwillig eingegangenen oder phantasierten erotischen Unterwerfung kommen kann. Jenseits von moralischer Verurteilung beleuchtet sie die psychischen Motive, die hinter Unterdrückung oder Gefügigkeit stehen. Es sind - zu dieser Ansicht kommt sie unter Bezugnahme auf Freud, Hegel und Bataille - Bedürfnisse nach Zuwendung und Anerkennung, die sich, in welch entfremdeter Form auch immer, ihren Weg bahnen. Unter den gegebenen Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern und der dadurch bedingten Entwicklung der Geschlechtsidentität werden sie in einen „sich durchsetzenden und kapitulierenden Teil“ polarisiert. Diese Benjaminsche Argumentation könnte die Opfer-Täter-Diskussion um neue Aspekte bereichern.

Gudrun Werner-Hervieu

Denkverhältnisse - Feminismus und Kritik. Hg. von Elisabeth List und Herlinde Studer, Suhrkamp Frankfurt am Main 1989, 28 DM