Kistenberg, Gemüsestapel, kaum noch Händler

■ Nur noch die Läden von der Ecke decken sich frühmorgens in den Hallen des Bremer Großmarkts am Rande der Neustadt mit grüner Frischware ein

Das einzig Große am Bremer „Großmarkt“ ist der Berg aus gebrauchten Spankisten gleich hinter dem Tor. Während sich früh morgens ein paar Einkäufer in den Obst-, Gemüse, Blumen - und Fischhallen verlieren, beginnt am Kistenberg harte Recycling-Ar

beit: Ein gutes Dutzend NachtarbeiterInnen sortiert die wiederverwertbaren Kartons und Kisten aus, bündelt sie zu haushohen Sta peln und läßt die Span- und Papp reste - in verschiedene Container sauber getrennt zermalmen.

Dampfwalzengroße Metallrollen drehen ihre scharfen Messer über die Verpackungsreste und produzieren Rohstoff für die Papierherstellung. Bananenkartons und unversehrte Spankisten dagegen werden für 30 Pfennige das Stück an Bremens Frischwarenhändler zurückverkauft.

Doch von denen ist morgens um drei Uhr noch nicht viel zu sehen. Auch in den weiteren vier Stunden der Großmarkt -Öffnungszeit ändert sich daran nur wenig. Der größte Teil des in Bremen gehandelten frischen Gemüses kommt längst über Ladenketten und Kaufhäuser an die Kundin. Und im Sommer beziehen auch viele Marktstände ihr Obst und Gemüse direkt beim Erzeuger. Im Großmarkt kaufen nur noch die kleinen Gemüseläden von der Ecke ein.

Während die seit Jahren in vielen Stadtteilen weitgehend von türkischen Familien betrieben werden, ist der Großmarkt noch immer fest in deutscher Hand. Nur ein einziger türkischer Händler sichert den Nachschub von Feigen, Olivenöl, Tee, Pistazien und Gewürzen aus der asiatischen Heimat. Doch auch griechische Nektarinen und Bananen aus Ecuador bietet „Olgun“ billiger als die deutsche Konkurenz. Zwetschgen zentnerweise

Dabei ist die Handelsspanne, die in den Läden immerhin zwischen 60 und 100 Prozent liegt, für die Großmarkthändler gering. 12 Mark kostet dort ein 16-Kilo-Karton Bananen, 14 Mark die Stiege Tomaten. Der Verdienst kommt mit der Menge. Gabelstapler schaffen zentnerweise Zwetsch

gen, Kohl und Kartoffeln durch die breiten Gänge. Doch angepriesen wird nicht. Keine bunten Schilder locken zum Sonderangebot.

Viele Händler kommen jeden Morgen, wissen wo sie ihre Bestellung machen werden. Und ob die Pflaumen aus dem alten Land oder Bulgarien, die Äpfel aus Frankreich oder Südafrika kommen - den Einkäufern ist es häufig so egal wie den Kundinnen in ihren Läden. Gekauft wird, was „gut geht“.

Besonders gut „geht“ heutzutage alles Ungespritzte. Doch nur ein einziger Großmarkthändler bietet Bohnen „aus biologischem Anbau“. Er kennt den Hof, von dem sie stammen. Das ist auf dem Großmarkt allerdings die große Ausnahme. Das meiste Obst und Gemüse ist bereits durch andere

Händlerhände gegangen bevor es nach Bremen kam. Einige Großmarktverkäufer kaufen sogar auf dem erheblich billigeren Hamburger Großmarkt ein.

Eine Ausnahme ist auch Herbert, Bremer Gemüsebauer, Marktverkäufer und Großmarktbeschicker. Sieben verschiedene Sorten Salat hat er vor seinem LKW aufgebaut, daneben „Patisson“, eine zucchiniähnliche Frucht im Ufo-look. „Das ist so ein Hobby von mir. Lohnen tut es sich nicht, auf dem gleichen Stück Erde hätte ich schon dreimal Salat anbauen können“, erzählt er. Auch er bietet Biologisches: „Mit meinen Tomaten hab ich dieses Jahr Glück gehabt. Die mußten wirklich nicht gespritzt werden.“ Geprüft wird so ein Verkaufsargument jedoch nicht. Die Händler glauben es und geben es an ihre Kundinnen weiter: „Das sind hiesige Tomaten, ungespritzt.“ (vgl. Kasten)

Gleiches gilt auch für andere Zusatzauskünfte über das Gemüse. „Nach Tschernobyl war hier alles nur noch aus dem Treibhaus“, erinnert sich ein Gemüsehändler, „heute dagegen stammt alles garantiert aus Freilandanbau.“ Nur bei den Schnittblumen wird danach überhaupt nicht gefragt. Die sind jederzeit auch in den schrillsten Formen und Farben aus Holland lieferbar - Chemie machts möglich. Da wird auf dem Großmarkt bei Bedarf auch mal eine rote Rose schwarz eingefärbt.

Farben, Düfte, Geschrei und Gewimmel - solch markttypische Anregung der Sinne gibt es für die Großmarktbesucher nicht. Die Hallen sind blitzsauber und fast menschenleer. Nur am Kräuterstand riecht es morgens um halb vier schon herb-süß nach Basilikum.

Dirk Asendorpf