: Wer will schon aus Geschichte lernen?
Zum Kriegsjubiläum „Friedenstag“ von Richard Strauss in der Berliner Deutschen Oper ■ G A S T K O M M E N T A R
Die angeblich informierte Gesellschaft hat Kummer, weil Information heute so ungehindert fließt; also tröstet sie sich damit, daß nicht sein kann, was wahr. Und wo kommt Berlin in den Genuß einer Fest-Oper von Richard Strauss: Der Friedenstag; Nomen est omen und daher beste Gewähr, den 50.Jahrestag eines deutschen Weltkrieges gnädig zu ummänteln.
Die Veranstalter ihrer leidigen Geschichtslosigkeit fielen auf das herein, was schon im Juni 1951 die Teilnehmer eines Colloquiums über den Friedensgedanken in der Tonkunst des Abendlandes an der Humboldt-Universität, der „kommunistischen“, in einem offenen Brief von den Operintendanten der DDR erbaten: Dieses Werk, indem sich die „aus einfachstem und natürlichstem Fühlen des Volkes gegorene Sehnsucht nach Frieden“ durchsetzt, möge häufiger aufgeführt werden. Das Etikett war zu verführerisch. Jene Studenten freilich kannten die Geschichte nicht, aus der sie hätten lernen können. Heute liegen die Dokumente auf dem Tisch.
Es war Straussens jüdischer Librettist Stefan Zweig, der die Idee gab, etwas „dem Deutschen“ Verbundenes zu machen, „zufällig“ am Jahrestag der „Machtübernahme“ 1934. Keine Oper, sondern mehr ein „Festspiel“. So sprach der Versucher, die Loyalität des neuen Reichsmusikkammer-Präsidenten Strauss zu testen. Der sprang darauf an, erwog hellsichtig Stoffe wie Heinrich III. (der die Lehenshoheit über Böhmen, Polen und Ungarn errang!), Heinrich II. (der Polen bekriegte und Böhmen zurückgewann!) und den Weltfrieden, den Hitler immer wieder laut verkündete, um seine Ziele zu tarnen. Zweig liefert im August 1934 einen Entwurf zum Friedenstag; zwei Wochen nach Hitlers allgemeinem heuchlerischem - Friedensangebot sagt Strauss zu. Aber der Dichter will nicht. Sein Test ist gemacht. Er wird keine Friedensfanfare für Hitler textieren. Er klagt Strauss an, Helfershelfer der Nazis zu sein. Dieser Brief ist verschwunden. Der „unpolitische“ Musiker verteidigt sich vehement. Die Gestapo liest mit. Aus Für die schweigsame Frau in Dresden.
Und nun, an diesem 29.Juni 1935, entscheidet sich Strauss endgültig für den Friedenstag. Ein aktueller Stoff, die politische Scharte auszuwetzen, Friedenspropaganda, eben solche, mit der Hitler die Welt an der Nase herumführte. „Das militärische Milieu, der Begriff der soldatischen Ehre, die Idee des Heldentums“, lobte die Presse. Hitler überzeugte sich selber, in Wien, drei Monate vor dem Losschlagen gegen die Welt, und Strauss dankte für die Ehre des hohen Besuchs in der Staatsoper. Das Werk hatte seine Schuldigkeit getan. Geschichte? Ach was, wozu lernen? Schwamm über die Geschichte; die Musikfreunde merken es sowieso nicht! Fred K. Prieberg
Musikforscher in Diersheim bei Straßbur
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