: WANST IN SCHUSSHÖHE
■ Amokläufe auf der Leinwand
Da zieht sich einer extra saubere Unterwäsche und seinen besten Anzug an, um seinen Nachbarn erschießen zu gehen, ein anderer rennt auf die Straße und schreit, er werde seine Wohnung anzünden, in der Frau und Kinder eingesperrt sind, ein Passant, der beruhigend auf ihn einreden will, wird von ihm niedergestochen...
Bizarre Geschichten, vielleicht erfunden, vielleicht auch nicht, für die es ein schönes Wort gibt: Amok. Ein Wort, das, wenn es mal als Greuelnachricht in die morgen vergessenen Schlagzeilen des heutigen Tages rutscht, fassungsloses Entsetzen auslöst, durchsetzt mit einer Faszination und Anziehungskraft, die Andre Breton 1930 als poetischen Sprengsatz formulierte: „Die einfachste surrealistische Handlung besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings so viel wie möglich in die Menge zu schießen. Wer nicht wenigstens einmal im Leben Lust gehabt hat, auf diese Weise mit dem derzeit bestehenden Prinzip der Erniedrigung und Verdummung aufzuräumen - der gehört eindeutig selbst in diese Menge und hat den Wanst ständig in Schußhöhe.“
Das Kino ist ein Ort wie geschaffen für die Irrationalität des Amoks, und würde direkt von der Leinwand ins Publikum gefeuert, hätte das eine hohe Trefferquote zur Folge, denn in den Kinosessel gepreßt, befindet sich rein ballistisch fast jeder „Wanst ständig in Schußhöhe“. In Targets Bewegliche Ziele verschanzt sich der Todesschütze am Schluß in einem Autokino hinter der Leinwand und feuert von dort aus ins Publikum, der Tod kommt von dort, wo er so leicht passiert und die Leichen nach getanem Sterben schnell wieder auferstehen; Peter Bogdanovichs Amokläufer ist der freundliche junge Mann von nebenan, der keiner Fliege etwas zu Leide tun kann.
Eines Morgens erschießt er ganz nebenbei, fast gelangweilt seine Familie, um dann aus verschiedenen Hinterhalten heraus per Zielfernrohr wahllos in die Menge zu feuern; im Fadenkreuz anvisiert, fallen die Menschen wie Fliegen. Da dreht einer durch mit einer Präzision und Gefühlskälte, die mehr erschreckt als der geballteste Haßausbruch; es bedarf nicht einmal großer Gefühle, um töten zu können, es ist die Arbeit wie jede andere, die am Fließband mit höchster Effektivität erledigt werden kann. Bogdanovichs Debüt von 1967 basiert auf einem authentischen Vorfall, aber es ist nicht nur der in diesem Fall zusätzlich thematisierte Waffenfetischismus, der typisch amerikanische Züge trägt. Zwar ist es wohl etwas übertrieben, den Amoklauf als eine amerikanische Erfindung zu bezeichnen, aber es ist nun mal in einem Land, in dem in jedem Haushalt mindestens eine Schußwaffe existiert, ein alltäglicheres Phänomen als bei uns, und vielleicht gibt es doch eine Art amerikanischer „Tradition“, was irrationale Gewalttaten anbelangt.
„Warum soll er leben? Aber Travis versteht das nicht, und deshalb sucht er woanders, und ich glaube, daß das kennzeichnend für die Unreife und Unerfahrenheit unseres Landes ist. Wir verstehen diesen Konflikt eigentlich überhaupt nicht und können deshalb diesen selbstzerstörerischen Impuls auch nicht introvertieren...; wir richten uns dann gegen unsere Umwelt. Ein Mann, der seine Zeit zum Sterben gekommen fühlt, wird hierzulande eher hinausgehen und andere Leute töten als sich selbst (...)“. Damit sagt Drehbuchautor Paul Schrader nicht nur Wesentliches über die von ihm erfundene Amokläufer-Figur Travis Bickle, der in Martin Scorceses epochalem Film Taxi Driver auf den großen Regen wartet, der den Abschaum von den Straßen New Yorks spült - und als der ersehnte Regen ausbleibt, selbst zur Waffe greift. Robert De Niro schlüpft mit einer fast beängstigenden Intensität in die Rolle von „Gottes einsamen Mann“, der außer Gewalt keine Antworten mehr findet auf seine Fragen. Travis ist ein kommunikationsunfähiger, isolierter Außenseiter, der von einem schleichenden Wahnsinn gepackt wird, dem Schrader als Kunstgriff fast religiöse, ins asketische Märtyrertum stilisierte Züge verpaßt.
Davon ist Budda Giodinazzos Combat Shock, einer Produktion der berüchtigten Billigfirma „troma“, nicht viel zu spüren, wenn auch dieser Streifen als eine äußerst depressive Schundfilmversion von Taxi Driver inklusive Eraserhead daherkommt. Ein neurotischer, verwahrloster Vietnam-Veteran vegetiert mit seiner hysterischen Ehefrau und einer immer quieckenden Babymißgeburt in einer miesen Gegend New Yorks, und da bleibt am Schluß nichts anderes mehr übrig als „Jetzt bin ich Gott“ zu brüllen, um mit allem und sich selbst abzurechnen. Im Vergleich zu diesem Trashhaufen New York aus Müll, Scheiße und Kotze wirkt Travis Bickles New York beinahe harmlos, aber Combat Shock ist pures Exploitation-Kino wie z.B. Bloody Wednesday, ein Film, der sehr frech und frei die Story des Mac-Donald-Amokläufers ausschlachtet; tiefergehende Studien eines psychischen Verfalls sind da nicht zu erwarten, Filme wie Taxi Driver, Targets oder auch Penelope Spheeris Boys Next Door, der den Wochenendtrip zweier College -Kids nach Los Angeles erzählt, der zu einer Orgie der Brutalität ausartet, sind die Ausnahmen, bei denen man das schöne Wort Amok auch rückwärts lesen sollte.
doa
Taxi Driver im Sputnik Wedding in der raren OF, eine Filmreihe „Amok“ mit oben genannten Filmen u.a. läuft bis 19.9. im Eiszeit-Kino.
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