: Alternative auf Ost-West-Handelstrip
Delegation der „Alternativen Liste“ West-Berlins auf der Leipziger Messe / Auch Vetreter selbstverwalteter Betriebe und BetriebsrätInnen dabei / Beim DDR-Außenhandelsministerium ging es auch um die „berühmt-berüchtigte“ Braunkohle ■ Von Maria Kniesburges
Leipzig (taz) - Was ihr in West-Berlin als mittlerweile senatstragende Partei zuweilen gar nicht mehr so gut gelingen mag, das schaffte die Alternative Liste jetzt mit Bravour auf einer Reise in den Osten, konkret zur „Leipziger Messe“. Sie präsentierte sich als Partei, die das Etikett „basisnah“ nicht nur im Reisegepäck zum Shakehands auf offizieller Ebene mit sich führt, sondern die die Basis gleich dabei hat. Zur diesjährigen Herbstmesse reisten nicht nur die zwei AL-Abgeordneten Dagmar Birkelbach und Benno Hopmann sowie Willi Brüggen als Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der AL nach Leipzig, mit von der Partie waren auch Vertreter selbstverwalteter Betriebe West-Berlins, wie zum Beispiel des Kollektivs „Südwind“, das Windkraftanlagen erbaut.
Ebenfalls dabei BetriebsrätInnen aus Westberliner Firmen, so Wolfgang Talke, Firma „Berthold - Fotosatzmaschinenbau“, Brigitte Ziegler, Firma „Lange-Labortechnik“ und die Betriebsrätin der Kaiser-Gruppe in West-Berlin, Christel Laubisch, die zugleich dem Hauptvorstand der HBV angehört.
Auf dem Programm der Gruppe stand für diesen Tag nicht nur ein Besuch der Messe, sondern auch ein Gespräch im DDR -Außenhandelsministerium. Thema: Ost-West-Handel. Und so basisnah die AL-Delegation zusammengestellt war, so direkt und floskelfrei sollte sich später die Diskussion gestalten, bei der auch die „berühmt-berüchtigten Braunkohleprodukte aus der DDR“ nicht ausgespart wurden, wie es der Vertreter des DDR-Außenhandelsministeriums, Wolfgang Steger, selbst formulierte.
Zuvor jedoch war der Rundgang über die riesige „Leipziger Messe“ angesagt, auf der noch bis zum Freitag dieser Woche rund 6.000 Aussteller aus 100 Ländern ihre Spitzenprodukte und -technologien ausstellen.
Doch während der IG Metaller Talke seine Schritte sogleich zielstrebig in Richtung der Halle mit den Satzmaschinen lenken und Hermann Harders vom Kollektiv „Südwind“ direkten Kurs auf die Energiegewinnungs-Technologien nehmen konnte, hatten die drei AL-Funktionsträger zunächst erstmal ein Date zu absolvieren. Es galt, dem Regierenden Bürgermeister von West-Berlin, Walter Momper, und dessen Wirtschaftssenator Mitzscherling (SPD), die just am gleichen Tage auf der Messe weilten, die Hand zu schütteln.
Damit der kleine grüne auch auf der „Leipziger Messe“ nicht einfach an seinem großen roten Koaltionspartner im Westberliner Abgeordnetenhaus vorbeiläuft, hatte man sich am Stand der „Berliner Absatzorganisation“ verabredet. Angesichts der dort dann versammelten Runde hinter den Kaffeetassen entfuhr es West-Berlins Regierendem: „Industrie - und Handelskammer, Bewag, Rot-Grün - na das ist doch eine Koalitionsrunde.“
Und auch im weiteren Verlauf des Messerundgangs kam man an einigem Altbekannten nicht vorbei - schließlich präsentiert sich hier auch das bundesdeutsche Kapital von seiner Glanzseite. Durch das dunkelgraue Rauchglas des Stands der „Friedrich-Krupp GmbH Essen“ sind die dunklen Krawatten der Firmenvertreter zu sehen. Davor in einer Glasvitrine die Errungenschaften der bundesrepublikanischen Plastverarbeitung: die formschöne Pepsi-2-Liter-Flasche, diverse elegante Plastikteller und mittendrin die Ketchup Flasche Marke „Kraft“. Da hat die „VEB Chemische Werke Buna
-Plaste und Elaste aus Schkopau“ durchaus mehr zu bieten, statt roter Ketchupflasche ist dort immerhin ein veritables Kinderplastikboot nebst echten Skiern zu betrachten.
Bei der skandalgebeutelten Firma „Nukem GmbH Haunau BRD“ dagegen hat man sich auch Tage nach Messebeginn noch nicht für das geeignete Outfit des Standes entschieden. Kaum hat der interessierte Betrachter den ersten Satz der ausgehängten Werbetafel gelesen, der da lautete: „Auch die neue Nukem arbeitet für die Kerntechnik...“, da wird die Tafel abgehängt und flugs darauf gleich durch drei neue ersetzt.
Da steht dann nur noch Freundliches: „Nukem: Abluft- und Abgasreinigung, Sonderabfall- und Rohstoffbehandlung, Behandlung von Industrieabwässern...“ Den drei jungen Leuten, die den Ort des Geschehens kurz nach dem Tafeltausch passieren, ist der Name „nukem“ dennoch sogleich Signal: „Nä, de woll mer här net“, tönt es im breitesten Sächsisch.
Die Delegation der AL dagegen wird wenig später auf das freundlichste empfangen. Im „Hotel Astoria“ laden Wolfgang Steger, als Hauptabteilungsleiter im Außenhandelsministerium der DDR zuständig für die Beziehungen zur BRD und West -Berlin, sowie seine Stellvertreter Andrä und Klein zum Gespräch an den Konferenztisch. Nach kurzer Vorstellung und Verständigung darüber, daß dieses Gespräch vor allem als Auftakt für die Entwicklung weiterer Kontakte zu verstehen sei, kam man munter ins Gespräch. Dabei ging es dann nicht nur um die Grundlinien und Entwicklungstendenzen des Ost -West-Handels mit besonderem Blick auf West-Berlin, die Delegationsmitglieder hatten auch ganz konkrete Beiträge zu liefern. So brachte der IG-Metaller Talke die Frage der Produktionsgestaltung, konkret nach den Folgen von Rationalisierungstechnologien hüben und drüben, auf den Tisch, Hermann Harders vom Kollektiv „Südwind“ erkundigte sich nach Kontaktmöglichkeiten zu Kombinaten aus dem Bereich Energiegewinnung in der DDR. Und selbstredend blieb auch das Thema Umweltschutz nicht ausgespart. Als Steger im Zusammenhang mit den Lieferungen aus der DDR anmerkte: „Beibehalten wollen wir natürlich auch die Lieferung unserer berühmt-berüchtigten Braunkohleprodukte, das wird sicherlich nicht auf ihr unbedingtes Interesse stoßen“, quittierte dies die Abgeordnete Birkelbach mit einem knappen: „Sehr richtig.“ Überhaupt, so fügte Dagmar Birkelbach an anderer Stelle hinzu, bestehe an der Verbesserung des Umweltschutzes wohl ein gegenseitiges Interesse. Was Wolfgang Steger mit den Worten konterte: „Richtig, wir tun, was uns möglich ist. Die Umrüstung der Kraftwerke wird erfolgen, aber das ist natürlich auch eine Frage der Möglichkeiten.“ Im übrigen, so Steger weiter: „Das Jahr hat 365 Tage, 268 davon weht der Wind aus Westen. Aus Richtung Buschhaus.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen