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Walesa bringt Weihrauch für alle

Beten unterm Blitzlichtgewitter / Lech Walesa nutzt Dom und Stahlwerk gleichermaßen, um für Polen zu werben / Weihrauch und Gebete für Arbeit und Kapital / Walesa vereinigt Gewerkschafter und Krupp-Stahlbosse unter dem Altar  ■  Aus NRW Walter Jakobs

Der Kapellmeister von der Bergmannskapelle tritt in den Hofeingang der Essener Münsterkirche. „Ist er schon da? Wer sagt uns Bescheid?“ Der Mann wartet auf das Signal zum Einsatz, doch noch sind die Töne der Kapelle nicht gefragt. Lech Walensa biegt zwar in diesem Moment um die Ecke auf den Hof ein, doch erst muß er die Kinder begrüßen, die in polnischen Trachten mit Salz und Brot auf den Führer der Solidarnosc warten. „Und danach“, sagt Dompropst Schulte -Berge, „kriegt er noch Weihwasser von mir.“ Eingerahmt von Kardinal Josef Hengsbach und Norbert Blüm, der sich seit dem Besuchsbeginn penetrant an die Seite von Walesa drängt - für Fotografen und Kameraleute ist es am Mittwoch fast unmöglich ein Foto von Walesa ohne den nordrheinwestfälischen CDU -Vorsitzenden zu schießen - arbeitet sich der Solidarnosc -Chef langsam durch die stürmisch applaudierenden Zaungäste zum Kircheneingang vor. Drinnen sind längst nur noch die reservierten Stuhlreihen frei, in den Gängen kämpfen die Kamerateams mit den Gläubigen um die besten Plätze. Walesa wird mit Applaus begrüßt, im Stimmengewirr der zahlreichen Kirchenbesucher hört man viele polnische Töne. Die verstummen erst, als die von Kardinal Hengsbach zelebrierte Messe beginnt. In den Fürbitten wird der liebe Gott um Beistand angerufen, auf das seinen irdischen Jüngern die Schaffung des „gemeinsamen europäischen Gotteshauses“ gelinge. Gebetet wird für „ein freies Europa im Geiste des Evangeliums“. Wenig später, als Lech Walesa das Wort erteilt bekommt, hört sich das ähnlich an. „Ich schlage vor, wir bauen nach der christlichen Lehre unserer Kirche das gemeinsame Haus Europa“, sagt der Gewerkschaftschef, denn das Bauen nach dem Muster politischer Ideologien sei „überall gescheitert“. Er sei in „diesen wunderbaren Tempel“ gekommen, um „im Gebet Inspiration zu finden“. Neben Walesa beten Blüm und auch NRW-Arbeitsminister Hermann Heinemann, der allerdings mit verschränkten Armen und nicht sonderlich vertieft. Katholik Heinemann, von der Landesregierung dazu verdonnert, die katholischen Termine wahrzunehmen, fühlt sich sichtbar weniger wohl als Blüm. Für ein gutes Foto tut der christliche Arbeitsminister so ziemlich alles, und selbst Kardinal Hengsbach nimmt angesichts der Möglichkeit, sein Hochamt direkt in die Wohnstuben übertragen zu bekommen, die Unruhe bei dieser heiligen Zeremonie in Kauf. Ein Kameramann von RTL treibt es dann aber doch zu weit. Er ignoriert souverän das Schild: „Das Betreten des Chores ist nicht gestattet“ und besteigt tatsächlich die Stufen zum Altar - der besseren Bilder wegen. Ein Ministrant weist ihm sanft den Weg in die Menge zurück.

Die Kommunion empfängt auch einer, den die Menschen am Mittwochmorgen beim Eintritt in den Dom gar nicht bemerkt haben, der aber seit dem Kampf um Rheinhausen viele Male die Titelblätter der Revierpresse zierte: Gerhard Cromme, inzwischen zum obersten Krupp-Chef aufgestiegen, betet und singt mit dem Gewerkschaftschef. An diesem weihrauchhaltigen Ort gibt es keinen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit. Daß das beim anschließenden Frühstück mit Cromme und Alfred Herrhausen von der Deutschen Bank, zu dem Hengsbach neben Walesa gestern auch Blüm und Heinemann geladen hatte, auch so geblieben ist, kann nur vermutet werden. Messen dieser Art wird Walensa auf ausdrücklichen Wunsch auch noch am Donnerstg in Düsseldorf und am Freitag in Köln, dort womöglich in Begleitung von Kohl und Weizsäcker, besuchen. Am Mittwoch stand nach dem Frühstück erst einmal der Bundesausschuß des DGB auf dem Programm. Am Halleneingang wartete ein Mercedes-Transporter, von der örtlichen Niederlassung gestiftet, auf den Gewerkschaftsführer.

In der Halle kommt der DGB-Vorsitzende Ernst Breit nach den einleitenden Worten schnell zu Sache: „Die seit Jahrzehnten fehlgeleitete Wirtschaft leistungsfähig zu machen, kann nicht allein duch die Polen geschafft werden. Das verlangt die konzertierte und konzentrierte Unterstützung aller Industrieländer des Westens.“ Breit fordert die Bundesregierung auf, „in diesem Prozeß einen Vorreiterrolle zu übernehmen“. Der DGB, der in den vergangen Jahren „bemüht war, euren Kampf zu unterstützen“, werde auch hierbei nach Kräften helfen. Lech Walesa lobt die bisher recht spärlich geflossene Hilfe des DGB überschwenglich. Seit 1980 habe man materielle Unterstützung bekommen, die etwas „grenzenlos wertvolles“ gewesen sei und „uns Kraft gegeben hat“. Gleichzeitig bittet der Mann aus Danzig den DGB jetzt, seinen ganzen Einfluß geltend zu machen, um das aktuell größte Problem der Polen zu lösen, „die Verschuldung Polens“. Zum Diskutieren blieb gestern keine Zeit. Nach dem DGB stand ein Treffen mit dem Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft auf dem Programm. Unmittelbar danach nahm Walesa an einer Betriebsversammlung der als besonders brav bekannten Belegschaft von Krupp-Stahl in Bochum teil. Den kampferprobten Stahlkochern von Krupp-Rheinhausen traute der DGB offenbar nicht über den Weg.

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