piwik no script img

„Ein rot-grüner Faden ist nicht erkennbar“

■ Der DGB-Vorsitzende Pagels geht mit Mompers Senat hart ins Gericht / „Szenario der objektiven Möglichkeiten“ soll Wege zur „Modellstadt Berlin“ aufzeigen / Statt Benzinsteuer fordert er BVG-Ticket als Eintrittskarte für alle Autofahrer in die City

In Sachen Umweltschutz will sich Michael Pagels von niemandem überbieten lassen. Aber es ist gerade diese Selbsteinschätzung des Berliner DGB-Chefs, die das Pflichtwort von der „kritischen Solidarität“ seiner Organisation mit dem nicht mehr ganz so neuen rot-grünen Senat so gallenbitter klingen läßt. Natürlich sei ihm Momper (SPD) lieber als Diepgen (CDU) beteuert der Parteifreund des jetzigen Regierenden gegen Ende eines langen Gesprächs. Und es ist symptomatisch, daß er diese Klarstellung für angemessen hält.

Wenn man Pagels Worten Glauben schenkt, treibt ihn nichts als Sorge um. Sorge, daß auf den entscheidenden Feldern Berliner Politik - er nennt Wohnungs-, Arbeitsplatz-, Wirtschafts- und eben Umweltpolitik - „niemand im Senat eine wirkliche Konzeption im Kopf“ hat. Eine „Flickenteppich -Politik“ von erschreckender Unprofessionalität werde da betrieben. Beispiel: Die geplante Einrichtung von Busspuren sickere ebenso als kleinteilige Einzelmaßnahme an die Öffentlichkeit, wie Tempo100 auf der Avus oder der Versuch, auf wenig ausgelastete Berlinflüge zu verzichten. Solange derlei Maßnahmen nicht eingebettet würden in ein zuvor öffentlich diskutiertes Gesamtkonzept, meint Pagels, dürfe man sich über Unwillen und Widerstand in der Bevölkerung nicht wundern. „Es muß ein rot-grüner Faden erkennbar werden“, fordert der DGB-Mann.

Gewiß, die Kritik ist nicht sonderlich originell, wird sie doch gegenwärtig in der Stadt von allen Seiten zum Besten gegeben. Doch Pagels hat auch schon die Ursache der Misere ausgemacht. „Ich sehe die Gefahr, daß sich beide Senatsparteien zu sehr mit sich selbst beschäftigen.“ Und das wiederum habe etwas mit den Entscheidungsstrukturen zu tun, die sich diese Regierung gegeben habe. Nun ist beileibe kein Geheimnis, daß Michael Pagels mit den „modernen Sozialdemokraten“, wie er Oskar Lafontaine und dessen erklärten Sympathisanten Walter Momper abfällig qualifiziert, recht prinzipiell überquer liegt - spätestens seit jenen lauten Tagen, als Walter Momper im letzten Jahr (fast schon SPD-Spitzenkandidat für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus) Lafontaines Arbeitszeit- und Flexibilisierungsplänen öffentlich Beifall klatschte und Pagels ihn deshalb mit dem Makel „nicht wählbar“ belegte.

Heute kommen dem Gewerkschafter die Mineralöl-Steuer -Vorschläge der Lafontaineschen „Fortschritt 90„-Kommission vor wie sozialdemokratische Strafexpeditionen gegen Verbraucher und Arbeitnehmer zwecks Auffüllung der Staatskasse. „Man hat fast den Eindruck, als stehe bei den Überlegungen nicht die Umwelt, sondern das Fiskalische im Vordergrund“, bemängelt der DGB-Chef. Doch dieses auch von rechts gern gegen die SPD-Öko-Planer vorgebrachte Argument garniert er sogleich mit der Forderung, die „Idee des Umweltschutzes“ nicht dadurch zu konterkarieren, daß man sie mit fiskalischen Begierden verquickt. So ähnlich sagen das auch manche Grüne.

Und hier wird es spannend. Denn wer Pagels locker in die Schublade: „Gewerkschafter, betonköpfig und umweltpolitisch unbeweglich“ packt, muß sich noch auf einiges gefaßt machen. So ließ der Berliner DGB mit „bundesweiter Unterstützung“ (Pagels) bereits zu Diepgens Zeiten eine breit angelegte Studie mit dem Titel „ökologisch-ökonomische Perspektiven für Berlin 2010“ vorbereiten, deren Realisierungphase in diesen Tagen beginnt. Erstellt wird die Expertise, die erst einmal realisiert - aus West-Berlin „wirklich eine Modellstadt“ für andere altindustrielle Ballungsräume machen könnte, vom „Institut für ökologische Wirtschaftsforschung“. Das IÖW wird gemeinhin als grün-nah eingestuft und zeichnet beispielsweise verantwortlich für die Studie, auf deren Grundlage die Bundestagsfraktion der Öko-Partei ihre Umbaupläne aufbauen will.

Die Abschaffung der Kfz-Steuer hält Pagels für eine gute Idee, auch, weil damit Bürokratie abgebaut werde. Dagegen richte sich eine erhebliche Anhebung der Benzinsteuer zwangsläufig vor allem gegen die „kleinen Leute“. Natürlich seien die gesellschaftlichen Kosten des Kraftfahrzeugverkehrs immens, viel höher noch als die Defizite des öffentlichen Personenverkehrs. Weil aber auf dem Land die Alternative zum Auto schlicht nicht finanzierbar sei, gehe es zuallererst um Lösungen in den Ballungszentren. Und hier bringt der DGB-Obere eine Idee ins Spiel, die derzeit für die schwedische Hauptstadt Stockholm diskutiert wird. Statt das Benzin künstlich teuer zu machen, sollen alle Berliner Autofahrer zum Kauf einer monatlichen BVG-Netzkarte verdonnert werden - als Eintrittsbillett für die Innenstadt mit Auto, Bus oder Bahn. Bei 600.000 Pkw in der Stadt käme zweifellos ein schöner Batzen zur BVG -Sanierung und zur Verbesserung des Angebot zusammen. Gleichzeitig hofft Pagels auf einen Sogeffekt und damit eine rasche und erhebliche ökologische Entlastung der Stadt: Wer das BVG-Ticket sowieso habe, werde sich auch leichteren Herzens zum Umstieg entschließen.

Selbstverständlich ist Pagels vor allem Arbeitnehmervertreter, aber nicht nach dem alten Motto „Arbeitsplätze über alles“. Gerade in Berlin gebe es eine unter ökologischen Gesichtspunkten katastrophale Industriestruktur mit außergewöhnlich hohem Flächen- und Energiebedarf, hohen Umweltbelastungen und zu wenigen vor allem qualifizierten Arbeitsplätzen. Luft, Wasser und Boden würden auch heute noch als „freie Güter“ in die betriebswirtschaftlichen Rechnungen eingehen. Für Pagels ein Skandal, dem er mit „exponentiell steigenden Abgaben“ für umweltbelastende Betriebe nach Umstellungszeiten von einigen Jahren beikommen will. Erst, wenn für jeden Betrieb Umweltbilanzen unter Einrechnung der sogenannten externen Kosten vorlägen, seien Aussagen auch über die Kosten eines Arbeitsplatzes möglich, meint Pagels. Dies gilt natürlich besonders für geplante Neuansiedlungen oder Betriebserweiterungen. Auch zu den stromintensiven Branchen, die die Bonner SPD bei ihren Steuerplänen wie bisher mit billigen Sondertarifen bei der Stange halten will, hat Pagels eine eindeutige Position. Er will diese degressiven Tarife nicht, weil das zu Lasten der privaten Haushalte geht. Und wenn die Unternehmen mit Abwanderung drohen? Pagels: „Na gut, sollen sie doch. Punkt.“

Wenn der Berliner DGB in einem Jahr sein „Szenario der objektiven Möglichkeiten“ vorlegt, könnte das, so Pagels, „eine große Hilfe für den Senat sein“. Versuch eines Brückenschlags zu Walter Momper? Der rasch nachgeschobene Satz verstärkt eher die Zweifel: „Die Frage ist, ob der Senat das wirklich will, und wenn er es wirklich will, muß er es eben auch wirklich sagen“. Da ist jede Menge Verbitterung.

Gerd Rosenkranz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen