: „Wir konnten ja nicht hellsehen“
■ Gestern nachmittag stiefelte die Kreuzberger CDU-Fraktion durch polnisches Händlergewühl am Mendelsohn-Bartholdy-Park / Ekel vor Scherben in der Sandkiste / „Der Handel muß unterbunden werden“, war die einhellige Meinung
Wenn es um den Polenmarkt geht, spielen CDU-PolitikerInnen auch schon mal Umweltschützer auf Schusters Rappen: Gestern nachmittag trafen die Kreuzberger CDU-Fraktionsmitglieder im Mendelssohn-Bartholdy-Park aufeinander, um sich kritischen Auges unters polnische Händlervolk zu mischen. Nicht etwa das reichhaltige Angebot an Schmuck, Wodka und Zigaretten hatte die konservative Bezirksopposition in die Grünanlage getrieben, sondern die mangelnde Entsorgung deutsch -polnischen Abfalls. „Die Anwohner hier können den Park überhaupt nicht mehr nutzen“, beschwerte sich der Kreuzberger Bezirksverordnete Rainer Beiler, während er vor dem Park auf Verstärkung durch seine Parteikollegen wartete. Deshalb habe die CDU-Fraktion jetzt eine Sondersitzung der Bezirksverordnetenversammlung beantragt. Um dort ein möglichst einheitliches Meinungsbild zum mokierten Schwarzhandel zu repräsentieren, schoben sich die acht Politiker alsdann sichtlich empört durch das Menschengewühl der rund 2.000 Händler und Kunden im zugemüllten Park. „Hier, schauen Sie sich bloß mal den Spielplatz an - völlig verdreckt“, entsetzte sich der Kreisvorsitzende Günther Elsner und starrte mit Ekel auf die Glasscherben in der Sandkiste. „Das ist auch kein Wohlstandsmüll, sondern polnisches Zeitungspapier“, bemerkte ein Fraktionskollege mit Genugtuung, als er einen Blick hinter das Spalier der Händler warf. „Das ist schlichtweg ein Mißbrauch öffentlicher Grünanlagen“, so der Kreisvorsitzende Elsner, während seine Parteikollegin Schwandler nur ein „oh Gott, oh Gott“ über die Lippen brachte. Die Tatsache, daß die CDU jahrzehntelang jeden osteuropäischen Bürger ins Land gebeten hatte, kommentierte der Kreisvorsitzende Elsner lapidar: „Wir konnten ja nicht hellsehen.“
„Wir akzeptieren nicht, daß hier das sozial intakte Umfeld durch den Schwarzhandel verschlechtert wird“, meinte Beiler im Getümmel. Für ihn ist der Schwarzhandel ein „sozialer Brennpunkt“, der schleunigst beseitigt werden müsse. Seine Lösung: der Einsatz von Parkwächtern sowie die Einzäunung der Grünanlage. „Toilettenwagen dürfen hier gar nicht erst hin, sonst wird das ganze ja auch noch legalisiert.“
Während sich die BezirkspolitikerInnen zum vierten Mal durch die Menschenmenge drängelten, übte der Kreisvorsitzende Elsner auch am Kaufrausch der BerlinerInnen Kritik. „Das ist mindestens genauso schlimm, daß die Deutschen das unterstützen.“ Im wesentlichen seien die Käufer aber sowieso Türken. Zu einem Gespräch mit den Betroffenen habe er bislang noch keine Gelegenheit gehabt. „Da sehe ich die Uneinsichtigkeit schon voraus“, bezweifelte Elsner den Sinn eines solchen Dialogs.
Christine Berger
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen