: Die Schrecken der „Gleichberechtigung“
Polens Frauen wollen von westlichem Feminismus und Emanzipation nichts wissen: „Gleichberechtigung“ wurde wie der Sozialismus von oben verordnet / Berufstätigkeit ist purer finanzieller Zwang / Sie sehnen sich nach dem Luxus, nur Hausfrau und Mutter zu sein ■ Von Edith Heller
„Weiber“ lautet der Titel von Tadeusz Pikulskis Feuilleton in der Warschauer Tageszeitung 'Zycie Warszawy‘. Dort ist zu lesen: „Zwanzig Jahre Arbeit im polnischen Fernsehen berechtigen mich zu der Feststellung, daß eine Ursache der Schwäche unserer Massenmedien die übermäßige Feminisierung ist. Eine Angelegenheit, die nicht zum Lachen ist und breitere Ausmaße besitzt. Es gibt drei akademische Berufe, aus denen die Männer entfliehen: Arzt, Lehrer und Journalist. Darüber, wie fatal sich das auf das Niveau unserer Medizin und Erziehung niederschlägt, wurden schon Hunderte von Artikeln geschrieben. Um den Journalismus blieb es bislang still. Dabei ist das ein Beruf, dem zumindest eine Rückkehr zum Gleichgewicht sehr guttun würde. Nicht selten gibt es nämlich solche Situationen, in denen der Chef - ein Mann - von einem Damen- bzw. Redakteurinnenkränzchen umgeben ist.“
Über die Ursachen dieser Misere erfahren wir folgendes: Da aufgrund der staatlichen Dotationen für das Fernsehen kein finanzieller Anreiz zu besonderer journalistischer Anstrengung vorhanden sei, seien statt Redakteuren „Textexegeten“ vonnöten, die gemäß den Anweisungen von oben gehorsam die Fakten einordneten. „Und dann drängen sich die 'Weiber‘ herein. Von ihrem Gesichtspunkt aus ist die oben beschriebene Idee des Journalismus etwas Wunderbares. Nachdenken, Themen suchen, herumlaufen, nachfragen, etwas riskieren - ist alles unnötig. Die Anweisung des Chefs, was wie zu machen sei, erledigt alles...“
Und dann legt der Autor los: Das Journalistenstudium sei etwas für junge Damen, die nicht wüßten, was sie mit sich anfangen sollten; die Lücken der Berufsanfängerinnen in der Allgemeinbildung seien beschämend; den Weg in die Redaktionen schafften sie über „Beziehungen„; den Beruf betrachteten sie als neues Element im gesellschaftlichen Leben. „Auftritte im Kameralicht, Interviews mit bekannten Personen verbessern hervorragend die eigene Position, erleichtern Kontakte usw. Wenn die dann Früchte bringen, beginnt die Arbeit im allgemeinen zu stören.“ Dann begännen die Probleme mit den Mutterschaftsurlauben, die Frauen seien mehr ab- als anwesend, und wenn sie da seien, redeten sie nur darüber, wo man Windeln, Babynahrung, Kinderkleidung kaufen könne. Die Frauen hätten keine Zeit, sich mit dem Programm zu beschäftigen oder gar irgendwelche Texte zu lesen.
Pikulski schließt mit dem Appell an seine Geschlechtsgenossen: „Meine Herren! Rettet euch vor den Frauen, weil ihr sonst untergeht. Man muß sie lieben, aber das ist alles. Auch in den Momenten höchster Erhebung vergeßt nicht, daß sie Gottesanbeterinnen sind: sie vernichten euch, eure ganze Männlichkeit, eure Berufe! Sie vernichten alles.“ Chauvis haben freie Hand
Wie reagiert die polnische Leserin, wenn ihr so etwas serviert wird? Wird sie empört sein über so einen frauenfeindlichen Text, über so einen chauvinistischen Schreiber? Die meisten Frauen, selbst wenn sie Zeit fänden, solche Ergüsse überhaupt zu lesen, würden sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und wären sicherlich bereit, dem Autor in einigen Punkten rechtzugeben. Die Polinnen sind nicht nur keine Feministinnen - ihnen, und den Männern natürlich ebenso, ist die gesamte Ideologie der westlichen Frauenbewegung fremd.
Dafür lassen sich viele Beispiele finden. Die Wahl der Miss Polen in der Sommeroper von Sopot ist seit einigen Jahren ein Ereignis, an dem die ganze Nation teilnimmt. Und wenn irgendjemand an dieser Parade künstlich aufgeputzter junger Mädchen, die sich alle erstaunlich ähnlich sehen, etwas auszusetzen hat, dann höchstens an dem in diesem Jahr ungünstigen Schnitt der Kleider, der die Beine dick macht, oder an den Badeanzügen, die zuwenig freizügig sind.
In den Nachrichten- und Magazinsendungen werden Berichte über Modeschauen oder den Karneval in Rio unweigerlich mit anzüglichen Kommentaren präsentiert: Hier käme nun etwas für die Herren der Schöpfung, und die Kamera weilt auf dem Hinterteil. In zahlreichen Büros, auch in solchen, wo nur Frauen arbeiten, hängen Posterkalender mit halbnackten Mädchen, mit Weichzeichner und Schlafzimmerblick zwischen Blumen oder auf Motorrädern. Niemand stört sich daran - na ja, abgesehen von einigen katholischen Publizisten, die in der Diskussion um die Auflösung des staatlichen Medienmonopols immer wieder vorbringen, daß der Pressekonzern sein Geld mit halbpornographischen Produktionen verdiene. Das ist wiederum übertrieben, auf den Nacktfotos in den Illustrierten und Jugendmagazinen ist wegen der schlechten Druckqualität sowieso nichts zu erkennen.
Auch wenn man die Polinnen nach Beruf, Familie, Selbstverwirklichung fragt, dürften die Antworten nicht dem „Bewußtseinsstand“ entsprechen, den viele westliche Fragerinnen erwarten. Die formale Gleichberechtigung der Frau wurde in Polen nicht erkämpft, sondern so wie in anderen sozialistischen Ländern auch von oben angeordnet, als Teil des neuen, aufoktroyierten Systems. Das Wort „Gleichberechtigung“ ruft bei vielen Polen die Erinnerung an die ersten Jahre des Sozialismus zurück, in denen die Propaganda Bilder von Frauen auf Traktoren oder in Bergwerken verbreitete. In Polen haben Frauen nie wirklich Schwerstarbeit geleistet (???, der Säzzer) (obwohl viele Fabrikarbeiterinnen unter sehr anstrengenden und gesundheitsschädlichen Bedingungen arbeiten), aber in der Sowjetunion arbeiten noch heute viele Frauen z.B. beim Straßenbau - ein Schreckbild der Gleichberechtigung für die Polen. Hoher Status als Mutter
Die Berufstätigkeit ist für die überwiegende Mehrheit der Frauen ein finanzielles Muß - der Mann allein kann die Famiie nicht erhalten. Sehr viele Frauen sehen es als erstrebenswerten Luxus der Reichen an, wenn die Frau zu Hause bleiben kann. So wird die Frauenemanzipation bewußt oder unbewußt als Teil der Ideologie des Staates verstanden, als Angriff auf die Privatsphäre, auf die Familie.
Hinzu kommt, daß die Polinnen es nicht nötig haben, ihr Selbstbewußtsein durch feministische Ideen anzuheben. Sie haben traditionell besonders in ihrer Rolle als Mutter eine hoch geachtete Stellung in der Gesellschaft inne. Sie finden es auch nicht altmodisch, wenn Männer Koffer tragen, Türen aufmachen, Mäntel abnehmen - sie erwarten es vielmehr selbstverständlich. Junge Polinnen haben schon oft ihre männlichen Altersgenossen aus Deutschland für ziemliche Flegel gehalten, wenn diese im Bus nicht für sie aufstanden oder im Restaurant nur die Hälfte zahlten. Durch ihre Berufstätigkeit - aufgezwungen oder nicht - sind die Polinnen weitgehend frei vom Gefühl der finanziellen Abhängigkeit. Sie wissen, daß sie zum Erhalt der Familie unentbehrlich sind. Natürlich lastet auch ein Großteil der Hausarbeit und vor allem der beschwerlichen Einkäufe auf den Frauen, aber die Bereitschaft, diese Rollenteilung in Frage zu stellen, findet sich, wie soziologische Untersuchunbgen zeigen, fast nur bei jungen Akademikerpaaren.
Die Diskriminierung der Frauen durch den Arbeitgeber ist durch das sozialistische System auch sehr viel geringer als etwa in der Bundesrepublik. Dem Direktor konnte in der Regel egal sein, ob seine Mitarbeiterinnen auf Mutterschaftsurlaub gingen oder nicht, weil sein Gewinn von ganz anderen Faktoren als der Rentabilität des Betriebs abhing. Einige Berufe außerhalb des Produktionssektors sind tatsächlich fest in weiblicher Hand: vor allem der des Lehrers und des Verwaltungsangestellten, aber auch über die Hälfte der Ärzte sind weiblich, bei den Zahnärzten und Pharmazeuten sind es über 80 Prozent. Die Zahl der Studentinnen übersteigt die Zahl der Studenten. Woher kommt das? Der Grund liegt in der schlechten Bezahlung akademischer Berufe. Die Männer wandern in die Privatwirtschaft ab, wo man ein Mehrfaches von dem verdienen kann, was der Staat in diesen akademischen Berufen bezahlt.
45,4 Prozent der Beschäftigten in Polen sind Frauen. Der statistische Frauenlohn ist - wie in der Bundesrepublik etwa 30 Prozent niedriger als der der Männer, weil die Frauen weniger Führungspositionen einnehmen, in niedrigere Lohngruppen eingestuft werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen