: Wenn das kein Faschismus ist...
■ Betr.: "No comment", taz vom 7.9.89
betr.: „No comment“,
taz vom 7.9.89
Ich lese von einem möglicherweise unberechtigten „Vorwurf“, die Wiederaufführung des Friedenstags von Richard Strauss könne etwas mit der 50. Wiederkehr des Kriegsbeginns zu tun gehabt haben. Herr Götz Friedrich behält sich vor, wann er zu diesem Vorwurf Stellung nehmen will.
Diese Stellungnahme ist ganz unnötig. Im offiziellen Programmheft war zu lesen: „Verstehen wir heute seine (des Friedenstags, MJ) Botschaft besser als das Premierenpublikum vor 50 Jahren, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs? Joseph Gregor hatte ganz recht, als er an Strauss schrieb: „Wenn man heute Europa ansieht, wird das Stück immer symbolischer.“ Heute dürfen wir getrost anstelle Europas sagen: die Welt.
Außerdem ist es verharmlosend, vom Friedenstag zu sagen, er sei nur „des Faschismus verdächtig“. In diesem Einakter geht es um einen Kommandanten, der seine eigene Stadt samt Bevölkerung in die Luft sprengen will, damit sie dem Feind nicht in die Hände fällt. Er entschließt sich dazu in dem Moment, als die Bevölkerung kapitulieren will. Niemand, der davon weiß, widerspricht diesem Plan, auch nicht seine im Programmheft als „Personifikation des lebensbejahenden Prinzips schlechthin“ gefeierte Frau. Andererseits werden die kapitulationswilligen Bürger als „Ratten“ bezeichnet. Wenn das kein Faschismus ist, dann gibt es überhaupt keinen Faschismus. Dann war auch Hitler kein Faschist, der ja mit Deutschland 1945 dasselbe machen wollte wie jener Kommandant 1648 mit seiner Stadt. Daß Hitler mit dem Plan nicht zum Zuge kam, hatte auch keinen anderen Grund als den, weshalb der Kommandant nicht zum Zuge kam. Der Einmarsch der feindlichen Friedenstruppen kam beiden zuvor.
Wer dieses Libretto liest und es nicht faschistisch findet, ist Wachs in den Händen jeder beliebigen Umerziehung. Wenn die Verantwortlichen für die Umlügung des Friedenstags es schaffen, die Affäre unter ihrem dicken Fell zu ersticken, können wir in diesem Land jede Hoffnung fahren lassen.
Michael Jäger, Berlin 44
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen