piwik no script img

Und Offenbach?

■ Musiktheater-Premiere im Ernst Waldau Theater: Offenbachs „Die Großherzogin von Gerolstein“

Wer kennt das nicht? Distinguierte Laune schwebt im kühlen Ambiente. Affektierte Gesten kräuseln die Luft. Man atmet den schweren Charme des luxuriösen Augenblicks. - Ein erstes Läuten

Weiter schweifen die Blicke, aus sich gefühlvoll wendenden markanten Gesichtern. Hier und dort wechseln ein Gruß oder schmeichelnde Komplimente den Besitzer. Kurzes, unaufdringliches Lachen akzentuiert die Konversationen. Auffordernd schrillt das Läuten erneut

Garderoben rauschen freundlich, aber bestimmt aneinander vorbei. Geschmackvoll inszenierte Gesichter suchen, finden und steuern mit einem Lächeln ihrem Ziel zu. Starke Männerarme formen elegante, halboffene Ellipsen; zarte Hände tauchen hinein. Galanten Aufforderungen kommen Damen willig nach; der sanfte Druck in der Lendenwirbelgegend durch den vertrauten Herrn bestimmt die Richtung. Die Glocke drängt. Die Erziehung gebietet, daß man am Beginn der Sitzreihen verweilt, anderen den

Vortritt gewährt, bevor der eigene Platz eingenommen wird. Jemand schiebt ein zutiefst bedauerndes Antlitz durch die Reihe. Gütige Augen erwidern beim erneuten Erheben verständnisvoll. Und abermals zurücksinken in den unbequemen Stuhl, währenddessen der herbe Hauch von Christian Dior noch einen Moment an die Episode erinnert. Eine nahezu kosmetisch mumifizierte, ältere Frau fächelt sich ungeduldig windige Erfrischung zu. Der Vorhang geht auf: Erster Akt aus Offenbachs „La Grande-Duchesse de Gerolstein“. Eine Provinzposse, üppig im Stil des 19. Jahrhunderts, jeden billigen Effekt erheischend, kritische Aktualität garniert in Gestalt einer einfallslosen Pointe unkompliziert den schwelgerischen Genuß. Die Abendgesellschaft ju

belt nach jedem Couplet, Duett, Rondo oder Chor. - Pause

Undisziplinierter Sturm des Verkaufstresens. Fleischige, schmale, gefärbte, schmunzelnde, hungrige Lippen umschließen kleine appetitliche Happen oder nippen am Sekt. - Zweiter Akt

Das Bild rundet sich, ist weniger unbeholfen. Plaisir dominiert. Die Gesellschaft tobt bei jeder Gelegenheit. - Pause

Dieselbe Gesellschaft, dieselbe Szenerie. Auf der Toilette stehen wohlbekleidete Rücken ebenso zackig nebeneinander wie im ersten Akt die Soldaten auf der Bühne. Ein einzelner im Spiegel, mit bakterienfreien Händen Details seiner Person ordnend. - Dritter und vierter Akt

Vergnügen sprüht in Funken. Der Tumult der Bühne kulminiert, die Freude schlägt allenthalben Kapriolen. Man fiebert dem Ende entgegen, dem schönsten Teil des Rituals. - Der Vorhang senkt sich -Entfesselte Begeisterung. Die Akteure feiern ihren Erfolg. Mit der Popularität der Schauspieler schwillt auch der Applaus zum rauschenden Brandungsgetöse. Immer und immer wieder. Allein, in kleinen Gruppen, an den Armen gefaßt, erscheinen sie. Saugen die Wellen der Zustimmung in sich hinein. Langsam ebbt die Euphorie ab. Die Ausgänge werden geöffnet. Vereinzelte Rinnsale strömen dem Parkplatz zu, die Masse folgt. Das Licht verlöscht. Die Türen schließen.

Und Offenbach? H. Schmid

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen