: Steine, Gesichter, Musikanten
■ „Farewell to Connaught“: 65 Kaltnadelradierungen von Gertrude Degenhardt
Steine, Hütten, mehr Steine, tanzende Menschen, noch mehr Steine, Gesichter, Musikanten, wieder Gesichter, und vor allem jede Menge Gläser mit Guinness. Gertrude Degenhardt muß eine Menge Zeit in Kneipen verbracht haben. Wer täte das nicht in Irland?
Farewell to Connaught hat die Mainzer Graphikerin die Kollektion ihrer Kaltnadelradierungen von der Westküste der Insel genannt; jener spröden Region, wo Irland so irisch ist wie sein Ruf, wo die Natur dem Menschen im Laufe der Jahrhunderte manches Schnippchen geschlagen hat, wo jede Kartoffel mühsam der Erde abgerungen werden muß, sturmumtost, himmelumflort, rauh, aber immer gut drauf. Eine Gegend, deren eigentümlicher Reiz die Touristen vom Kontinent auf geheimnisvolle Weise anzieht, deren Kargheit die jungen Einheimischen in Scharen davontreibt.
Tausende sind es Jahr für Jahr, die sich von hier aus aufmachen in die große weite Welt, nach England, Neuseeland, Australien, Amerika, wo sie dann nicht müde werden, von ihrer zurückgelassenen Heimat, von der tristen Einöde des „Burren“, den „Twelve Bens“, jenen kargen Gipfeln Connemaras, oder den zerklüfteten Küsten Donegals zu träumen. Nicht immer gingen sie freiwillig. Schiffsladungen von Iren, die gegen die britische Herrschaft revoltierten, mußten von Connaught aus ihre verzweifelte Reise in die Sträflingskolonien von „Van Diemens Land“ antreten.
Zwanzig Jahre sind vergangen und meine Sklaverei ist beendet
die Geister meiner Kameraden habe ich hinter mir gelassen
als Rebell kam ich her und als Rebell werde ich sterben
im kalten Wind der Nacht wirst du mich finden
oh, ich wünschte, ich wäre zu Hause in Derry.
(Bobby Sands, Hungerstreiker, MP und Revolutionär).
In dieser von der Geschichte nicht gerade verwöhnten Region trieb sich Gertrude Degenhardt mit ihrer Kupferplatte und ihrer Nadel herum und ritzte mit sicherer Hand ein, was ihr vor die Augen kam: Landschaften, Cottages, Wolkenschaften, das Meer und die Menschen. Mit ihren Baskenkappen, den Fiedeln und Flöten, den wohlgefüllten Guinnessgläsern in der Hand und den unverwechselbar irischen Gesichtern wirken diese wie aus einem Buch von James Joyce entsprungen. Oder besser noch, einem der skurrilen Werke Flann O'Briens, der in seinem genialen Buch Irischer Lebenslauf auf unnachahmliche Art die Atmosphäre des gälischen Westens Irlands beschrieben und karikiert hat.
Manchmal erinnern die Figuren an Daumier, dann in ihren grotesken Verdrehungen wieder an Wilhelm Busch, schließlich an Goya oder Dore, letztendlich bleiben sie jedoch immer unverwechselbar Gertrude Degenhardt. Spielerisch werden Elemente klassischer Vorbilder wie etwa die Blinden von Breughel oder Goyas Caprichos verwendet und mit irischen Attributen ausgerüstet: den typischen Musikinstrumenten, den einschlägigen Getränken, den Schlägermützen und den ortsüblichen Nasen, auf deren vollendete Darstellung größter Wert gelegt wird.
Die Porträts sind ohne Zweifel authentisch, wenn auch selten liebevoll, und selbst bei der in Westirland vorherrschenden Sanftmut kann die Künstlerin von Glück sagen, daß ihre Nadelkratzer vor Drucklegung kaum zu dechiffrieren sind und den Dargestellten so ihre wahre Natur verborgen bleiben mußte.
Dem nicht betroffenen, unvoreingenommenen Betrachter vermitteln die 65 Blätter jedoch einen umfassenden Einblick in einen Landstrich, der schon vor Jahrhunderten zum Scheitern verurteilt wurde, aber nach wie vor nicht bereit ist, dieses Verdikt zu akzeptieren.
Matti Lieske
Gertrude Degenhardt: Farewell to Connaught, 65 Kaltnadelradierungen. Preis: 60 Mark, Edition GD, Klosterstraße 1/10, 6500 Mainz.
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