: Frau Irene schweigt zum Kulturaustausch
Frau Irene SCHWEIGT ZUM KULTURAUSTAUSCH „Nehmen Sie sich doch schon mal ein Stückchen Kuchen; wenn Frau Senatorin da ist, werden Sie wenig Zeit zum Essen haben, dann müssen Sie reden“, sprach der Staatssekretär und griff zum Cremeschnittchen. Das verhieß nichts Gutes. Schweißperlen tropften von Presse-Stirnen, und man dachte an die Führerscheinprüfung - schrecklich! Die Senatorin trat auf. „Das ist mir heute ganz wichtig.“ Was? Das Presseecho für auswärtige Kulturaktivitäten Berliner Künstlerinnen. In Albany, in Istanbul und sonstnochwo ist die Berliner Kultur ganz supermäßig angesehen, in Berlin zwar auch; aber das Problem ist, daß über Berliner Kultur, die eben sonstwo stattfindet, nicht geschrieben wird in Berlin. Außerdem sei dieses Problem ja jetzt auch ganz frisch, wie die Senatorin meinte: Jetzt, da in den Sozialistischen Staaten - in der DDR und der Tschechoslowakei etwas langsamer, aber dennoch demokratisiert werde, müßten wir Hilfestellung leisten, mit ganz viel Austausch und ganz viel Presse. Aha, auch der Kulturaustausch birgt in Berlin einen Frontstadtaspekt. Und weiter: „Die im Osten meinen ja nicht nur, daß es uns hier im Westen besser geht, sondern die glauben auch, daß wir wissen, wo es langgeht, kulturell, und da müssen wir eben helfen, liebe Kollegen aus der Kulturpolitik.“ Protest vom Staatssekretär: „Die Herrschaften sind doch von der Presse, Frau Doktor Martiny.“ - „Ja, ich weiß schon, was ich sage, schließlich ist jeder, der in der Kultur was verändern kann, auch ein Kulturpolitiker, aber jetzt sollen die Kollegen mal was dazu sagen.“ Da der Kuchen schon gegessen war, vertieften sich die JournalistInnen nun eingehend in das Muster der Kultursenats-Auslegware. Nur der 'Tagesspiegel' -Herr hatte sich gerüstet: Alles, was die Frau Senatorin gesagt hatte, sei so wichtig, wie es die Senatorin gesagt hatte, doch könne man das Ganze ja auch noch mit lateinischen Zitaten aufpeppen. Das tat er dann auch eine Viertelstunde: Honeckeris mistutis veni, veni, Erichi! oder so ähnlich. Dann durften die Berliner Künstler an die Front. Tenor: „Wir sind ungeheuer erfolgreich im Ausland und ungeheuer erfolgreich in Berlin, aber, daß wir im Ausland soo erfolgreich sind, merkt in Berlin keiner, weil die Presse nicht genug wirbt.“ Muß ja nicht immer die Korresponten-Kritik sein, aber so eine kleine Kästchen-Notiz vom großen Erfolg in Norwegen - geht das nicht, bitte, bitte! Und Martiny immer zwischendurch, man solle bloß an die Ostkontakte denken, „die wollen doch alle von uns lernen“. Sollte das alles gewesen sein? Nein. Jetzt kamen die Politiker-KollegInnen vom Senat erst richtig in Fahrt. Es ist schon wichtig, die BerlinerInnen von der Wichtigkeit und Richtigkeit der Auslandskontakte von Berliner Künstlern zu überzeugen, aber eigentlich will der Senat überzeugt sein. Denn nächsten Dienstag stellt Anke Martiny ihr Kulturaustausch-Konzept in der Senatssitzung vor, und bis dahin müssen die kulturfeindlichen Regierungs-KollegInnen überzeugt sein, daß so vier bis fünf Millionen Mark gut ausgegeben sind. Und SenatorInnen fragen eben nicht KünstlerInnen, ob das für sie gut war in New York, sondern SenatorInnen lesen nur den Pressespiegel. Und wenn die Berliner Feuilletons heute voll sind mit Berichten von Berliner Veranstaltungen aus Sonstwoher, dann liegt das daran...
mo
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