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Das Debakel mit dem Gen-Gesetz

■ 600 Änderungsanträge und massive Vorbehalte gegen den „unausgereiften Entwurf“ / Von Gerd Rosenkranz

Kein umweltpolitisches Gesetz war bisher ähnlich umstritten wie das neue Gentechnik-Schutzgesetz. Am 12.Juli dieses Jahres im Kabinett abgesegnet, berät heute der Bundesrat über den vorgelegten Entwurf. Schon in den Ausschüssen der Länderkammer stieß er auf massive Vorbehalte. Nicht weniger als 600 Änderungsanträge wurden eingebracht. Neuer deutscher Rekord! Dennoch wird der Bundesrat heute das Gesetz nicht abschmettern. Der große Eklat mit Bonn soll vermieden werden.

Drei volle Tage lang brüteten die Ministerialbeamten des Umwelt-Unterausschusses des Bundesrates über dem Elaborat, einen weiteren Sitzungstag quälte sich der Umweltausschuß selbst durch die Antragsberge. Zu den 300 Änderungsvorschlägen kamen noch einmal ebensoviele aus anderen Ausschüssen der Länderkammer. Rund 600 Änderungsanträge waren zu bearbeiten: einmalig in der Geschichte der Republik. Ministerialbeamte, Staatssekretäre und Minister rauften sich die Haare: Der Frust über den federführend von Bundesgesundheitsministerin Ursula Lehr vorgelegten und vom Bundeskabinett am 12.Juli verabschiedeten „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Fragen der Gentechnik“ machte vor Ländergrenzen keineswegs halt. Beim Abstimmungsmarathon in den verschiedenen Ausschüssen stimmten die Beamten aus unionsregierten Ländern in zentralen Fragen mit den SPD-Vertretern gegen den auch von Bundesumweltminister Töpfer zu verantwortenden Regierungsvorschlag.

War die ganze Schinderei mit dem vollkommen unausgereiften und in sich widersprüchlichen Gesetzentwurf umsonst? Dieser Eindruck könnte entstehen, wenn die Länderministerpräsidenten nach der Bundesratssitzung am heutigen Freitag vor die Presse treten - und nichts sagen. Gestern zeichnete sich ab, daß die CDU/CSU -Ministerpräsidenten die Faust einmal mehr in der Tasche lassen und die Minister Lehr und Töpfer ihr Paragraphenwerk nur in ausgesprochen diskreter Form um die Ohren hauen wollen. Mit anderen Worten: Der Bundesrat wird es wohl mit den Stimmen der christdemokratischen Mehrheit vermeiden, überhaupt zu dem Stellung zu nehmen, was ihm die Bundesregierung auf den Tisch gelegt hat. Strategie der CDU -Länderfürsten: Der Gesetzentwurf soll, wie er ist, ohne Votum zur Beratung und Abstimmung an die Bundestagsausschüsse verwiesen werden. Dort soll er dann entsprechend ihren Wünschen nachgebessert werden. Die direkte Konfrontation und die öffentliche Blamage wären vermieden. Nach der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag könnte der Bundesrat im Notfall immer noch eingreifen, weil er dem Gesetz am Ende des Verfahrens auf jeden Fall zustimmen muß.

Im Laufe der Woche hatten sich dagegen die SPD-Länder bemüht, mit einem weich formulierten Antrag eines oder mehrere CDU-Länder auf eine Ablehnung des gesamten Gen -Gesetzentwurfs einzuschwören. Doch vergeblich: Nach einer Schaltkonferenz der Länder war klar, daß auch Lothar Späth seine nach dem Bremer Parteitag laut empfundene neue Freiheit offenbar nicht am Gen-Gesetzentwurf demonstrieren will.

Die SPD-Länder werden dennoch versuchen, das Gesetz zu Fall zu bringen, und in der Länderkammer einen Antrag vorlegen, der inhaltlich in etwa dem entspricht, was der Bundesrats -Umweltausschuß bereits mit Mehrheit festgestellt hatte. Danach „haben die beim Bundesrat durchgeführten Beratungen gezeigt, daß der vorgelegte Gesetzentwurf den Anforderungen zum Schutz der in Paragraph 1 Nr.1 genannten Rechtsgüter und der Vorsorge vor Gefahren nicht gerecht wird“. Und weiter: „Der Gesetzentwurf ist inhaltlich und in den erforderlichen verfahrensrechtlichen Regelungen unausgereift.“ Insbesondere vermißt die Ausschußmehrheit „klare Regelungen“ über die „Genehmigungspflicht für gentechnische Anlagen und Arbeiten zu gewerblichen Zwecken“ und die „grundsätzliche Beteiligung der Öffentlichkeit bei allen Genehmigungsverfahren“. Auch das nüchterne Beamtendeutsch kann die Bauchlandung des Gen -Gesetzes nicht kaschieren. Lehr und Töpfer sind mit ihrem Entwurf in den Bundesratsausschüssen durchgefallen.

Doch während die kritische Haltung in den Ausschüssen, wo auch das rot-grüne Berlin Sitz und Stimme hat, eine Mehrheit fand, wird sie im heutigen Plenum des Bundesrats, wo Berlin nur bei Entschließungsanträgen mitstimmen darf, von einer CDU/CSU-Mehrheit niedergestimmt.

Bei den Sachberatungen der beteiligten Ausschüsse ging das Stimmverhalten dagegen munter durcheinander. Die Unionsvertreter votierten mit den SPD-Ländern auch für konzeptionelle Korrekturen am Regierungsentwurf, und die SPD -Ländervertreter wunderten sich des öfteren insbesondere über die Abstimmungspraxis der Abgesandten des NRW -Umweltministers Klaus Matthiesen (siehe nebenstehenden Artikel). Nur gegen die Stimme Hessens kippte der Bundesrats -Umweltausschuß etwa die rein tätigkeitsbezogene Konzeption des Regierungsentwurfs. Während Lehr und Töpfer den Anwendungsbereich des Gesetzes auf „gentechnische Arbeiten“ beschränken wollen, bestand der Ausschuß zusätzlich auf einem Genehmigungsverfahren für alle „gentechnischen Anlagen“. Außerdem wollen die Länder über die Genehmigung von Freisetzungen genetisch veränderter Organismen im Gegensatz zum Entwurf selbst bestimmen und dies nicht dem Bund überlassen.

Zahlreiche weitere Änderungsanträge, die im Umweltausschuß gegen Voten der unionsregierten Länder angenommen wurden, betrafen insbesondere die Verschärfung der Genehmigungspflicht gentechnischer Anlagen und Vorhaben. Auch unterhalb der sogenannten Sicherheitsstufen drei und vier sollen Labors und Firmen ihre Anlagen genehmigen lassen. Außerdem wurde eine gegenüber dem Regierungsentwurf wesentlich erweiterte Beteiligung der Öffentlichkeit im Genehmigungsverfahren verlangt, und schließlich wurden Regelungen gefordert, die den Behörden die Möglichkeit eröffnen, Anträge unter gewissen Umständen abzulehnen (Versagungsermessen).

Als sich der Umweltausschuß des Bundesrats am 5.September zur abschließenden Sitzung einfand, waren die Rollen schon vorher verteilt. Als Buhmänner mußten die Ministerialen aus den Bonner Ministerien für Umwelt und für Gesundheit herhalten. Am Ende herrschte Frustration auf allen Seiten. „Mit Entschiedenheit“ wende man sich gegen die Kritik, der Gesetzentwurf sei völlig „unausgereift“, ließ der Lehr -Abgesandte beleidigt protokollieren. Die Änderungsanträge des Ausschusses „verfolgten letztlich eine andere Konzeption und sähen deshalb eine grundstürzende Änderung des Regierungsentwurfs vor“. Und mit einem Anflug von Zynismus fügte der Beamte hinzu: Die Summe der Einzelvoten mache die „Frage des Vollzugs des Gesetzes obsolet, da es Gentechnik in der Bundesrepublik Deutschland dann möglicherweise nicht geben wird“.

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