: „Ich war ein Pferd“
■ Das erfolgreichste Springpferd der 80er Jahre wurde in der Stadthalle verabschiedet.
Das Licht geht aus im weiten Rund. Es wird mucksmäuschenstill. Die Stimme legt sich über das Stadthallen-Oval. „Wir erwarten jetzt gleich eine Sportler -Persönlichkeit in der Arena, die eine geradezu unglaubliche Karriere hinter sich hat.“ Gedämpfte Mu
sik setzt ein. Die Flaggen all der Länder, in denen die Persönlichkeit Siege davontrug, werden von Schulkindern im Spalier präsentiert. „Wir haben es bei ihm mit einer Beständigkeit ohnegleichen zu tun. Seine Präzision, seine Geschicklichkeit, sein Mut waren beispielhaft.“ Lichtkegel kreisen um den Halleneingang, die Dramaturgie der Musik prophezeit den baldigen Höhepunkt. Die Stille geht in Raunen über. Gänsehaut in jeder Sitzreihe. „Dies ist der Augenblick, wo er inmitten des Kreises seiner engsten Freunde Abschied nimmt.“ Die Viertausend in der Halle sind den Tränen nahe.
Der erlösende Moment. Der Star läuft in die Halle ein, erhobenen Hauptes, im Wissen um eine einmalige Laufbahn, an dessen Ende eine Gewinnsumme von 1.429.350 Mark steht.
Die Stimme hebt an, wird zur Hymne. „Ihm entbieten wir unsere Referenz. So war er - sein Leben lang.“ Die Halle ersäuft in Rührseligkeit. An der Stirnseite überbieten sich auf einer fünf mal sieben Meter großen Video-Leinwand die Bilder seines Sportler-Lebens. Vor vierzehn Jahren begann die Laufbahn, die heute abend vor dieser großartigen Kulisse ihr Ende findet.
„Du hörst nun die Melodie“, haucht die Stimme ins Mikrophon, „die so oft zu Deinen Ehren gespielt wurde.“ Das Orchester intoniert das Streichquartett C-Dur Opus 36 Nr. 3 von Josef Haydn. Und dann das furiose Fi
nale: „Es ist kein Mensch. Es ist ein Pferd.“ Hans-Heinrich Isenbart grüßt Deister.
Der 18jährige Wallach, der seinen Besitzer Paul Schockemöhle zu Ruhm und Geld getragen hat, geht in Pension. Nicht ohne seine männlichen Bewunderer zu ausschweifender Legendenbildung anzuregen. Hans-Günter Winkler: „Lesen und Schreiben kann er bestimmt
auch.“ Paul Schockemöhle: „Deister ist der beste Mensch in meinem Stall.“
Denkste, dachte sich das Pferd - Haydn kann ich nicht laydn und antwortete mit einem halben Kilo Pferdeäpfel. „Die größste Genugtuung aber war“, schrieb Deister in seinen Memoiren, „fortan die Stimme Hans-Heinrich Isenbarts nicht mehr hören“ zu müssen.
Andreas Hoetzel
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