Hormonbombe unter Schering

■ Grundwasser unter Weddinger Schering-Gelände schwer verseucht/Neben krebserregenden Lösemitteln auch Sexual-Hormone nachgewiesen/"Schatzsucher" der Umweltbehörde förderten unterdrücktes Gutachten zutage...

„Einfach abnorm“, so übertitelte gestern das Fachblatt 'Wirtschaftswoche‘ einen schier unglaublichen Bericht. Danach ist das Gelände des angeblich so um den Umweltschutz bemühten Schering-Konzerns an der Fennstraße schwer mit allen möglichen Chemikalien verseucht. Und: Seit Jahren wußten alle Beteiligten, also auch der glücklose FDP -Umweltsenator Starnick, von der „Grundwasserbombe“.

Sie platzte, weil die neuen rot-grünen Spezialisten in der Umweltverwaltung ein gut anderthalb Jahre altes Gutachten des Berliner Instituts für Baustoffprüfung (BIB) mehr zufällig „fanden“. Die Gutachter hatten im Dezember 1987 eine Schöpfprobe aus dem Vorratscontainer der Grundwasserreinigung bei Schering genommen. Alarmierendes Ergebnis laut 'Wirtschaftswoche‘: Die Analyse des grau -schwarzen Suds ergab als Summe der Chlorkohlenwasserstoffe (CKW) beispielsweise einen Wert von 5,4 Milligramm pro Liter Wasser - das 216fache des Grenzwertes für Trinkwasser. Geradezu haarsträubend sollen auch die ermittelten Werte für aromatische Kohlenwasserstoffe gewesen sein. Bei Toluol allein habe sich ein Wert von 22,6 Milligramm pro Liter ergeben. Weiter ist die Rede von erheblichen Konzentrationen von Stoffen, die als krebserregend einzustufen sind. Der Knaller: Die Gutachter konnten auch deutliche Spuren von Steroid-Verbindungen nachweisen - darunter 'Wirtschaftswoche‘ zufolge Androsteron, das zu den Abbauprodukten des männlichen Sexualhormons Testosteron gehört. Lecks an diversen unterirdischen Tankanlagen mit Lösemitteln waren auf dem Schering-Gelände schon im Juli '86 festgestellt worden. „Unberechtigte Vorwürfe“ sah der Konzern unterdessen gestern. Zugleich räumte man ein, daß eine „Vielzahl unterschiedlicher Lösemittelreste“ in das Grundwasser eingedrungen ist.

Das aufgespürte Gefährdungspotential sei „bislang ohne Beispiel“, so gestern die Umweltverwaltung. Das Grundwasser unter den Schering-Anlagen sei bis in über 40 Meter Tiefe mit giftigen Stoffen verunreinigt. Als besorgniserregend stufte die Verwaltung insbesondere die Vielzahl der Stoffe ein. In diesem Zusammenhang erhob der Persönliche Referent von Umweltstaatssekretär Groth, Thomas Schwilling, schwere Vorwürfe gegen den alten CDU/FDP-Senat: Der habe das Gutachten, auf das man erst vor zwei Wochen gestoßen war, unter der Decke gehalten und es dem Konzern überlassen, die Schadensursachen weiter zu erkunden. Schwilling: „Wir haben daraufhin der Firma Schering eine Frist gegeben, innerhalb von 14 Tagen die Öffentlichkeit zu informieren.“ Diese Frist sei gestern ergebnislos abgelaufen. Nach Schwillings Worten ist das Grundwasser im Boden unterhalb des Weddinger Schering-Geländes mit mehr als 100 Schadstoffen hoch kontaminiert. Es lägen bis in den Prozentbereich reichende Konzentrationen vor, das heißt flüchtige organische Verbindungen lägen im Bereich von bis zu 100.000 Mikrogramm/Liter.

In der Trinkwasserverordnung sei dagegen ein Grenzwert von 25 Mikrogramm festgeschrieben. Die gefundenen vielfältigen Schadstoffe könnten unmöglich nur aus einem Tank kommen. „Wir gehen auf jeden Fall davon aus, daß mehrere Quellen in Frage kommen, wahrscheinlich auch das marode Schering -Kanalnetz.“ Dem Referenten zufolge wurde Schering von der Umweltverwaltung aufgefordert, bis zum 15.Oktober ein Konzept zur oberirdischen Verlegung des Kanalnetzes nach dem Stand der Technik vorzulegen. Er verwies darauf, daß auch andere große Chemiekonzerne wie BASF und Bayer Leverkusen ihre Rohre über der Erde haben. Die Firma Schering habe gestern bereits wissen lassen, daß sie zu einer solchen Umrüstungsmaßnahme bereit sei. Weiterhin sei das Unternehmen aufgefordert worden, innerhalb der nächsten Monate die Erkundungen auf dem Werksgelände abzuschließen. Entgegen den Darstellungen von Schering sagte Schwilling, durch früher getroffene Sofortmaßnahmen sei die chemische Zeitbombe bislang nur „oberflächlich angekratzt worden“.

thok