Zelle soundsoviel

■ Block egal, Gefängnis irgendwo...

In der Rangliste der Dinge, auf die „unsereins“ als Eingeknasteter sehnsüchtig hofft, kommt ein Brief gleich nach einem Besuch. Die Postverteilung ist zugleich auch immer ein Höhepunkt im tristen Gefängnisalltag...

Das Problem ist dabei nur, daß nicht jeder Inhaftierte über einen Haufen Leute verfügt, die scharf darauf sind, ihn zu besuchen oder ihm zu schreiben... Viele, die hatten eine Familie. Jedenfalls in der ersten Zeit. Sie bekamen ab und zu Briefe, sogar ziemlich regelmäßig. Aber wenn der Knast länger dauerte, wurden die Briefe seltener - und blieben dann ganz aus. Die meisten, die fünf Jahre oder noch länger sitzen, verlieren alles: Frau, Kinder, Familie, Freunde, Haus und Heimat - alles! In der Außenwelt gibt es nichts mehr, was ihnen gehört.

Nur daß ein Inhaftierter leider nicht so einfach verschwinden und sich in Luft auflösen kann wie das Andenken an ihn. Manche würden sich das sogar wünschen. Es hat seine Ursache, daß es immer wieder - weibliche oder männliche Inhaftierte gibt, die im Suizid den einzig erkennbaren Weg sehen. Nein, der Gefangene muß leben und nicht nur von dem Tag träumen, an dem seine Haft vorüber ist, er freigelassen wird und wieder „neu“ anfangen kann. Aber dann wird niemand da sein. Und warum auch?

Fünf oder mehr Jahre sind eine lange Zeit für eine Frau, um ein Bild zu streicheln, aber die Zeit reicht aus, daß ein „Onkel“ für die Tochter oder den Sohn zum „Vati“ wird; daß sich Freunde und Bekannte nicht mehr an einen erinnern, daß aus einem Mann oder einer Frau, der/die den größten Teil des täglichen Lebens in Zelle soundsoviel, Block egal, Gefängnis irgendwo, eingesperrt gewesen ist, unbegreiflicherweise ein Mensch „ohne irgendwelche festen sozialen Kontakte“ werden kann...

Ein Hoch auf den „abwesenden Mitmensch“, der jetzt wirklich abwesend ist.

Brief eines Gefangenen aus Hagen

Briefkontakt mit Gefangenen über Jan Harms, taz-Knastabos, Kochstr.18, 1000 Berlin 61