: JE VAGER DESTO VIDEO
■ Seit gestern wütet das 7.Interfilm-Festival - eine Rundumschau
Rücksichtslos wird man mit Kunstwerken made electronically konfrontiert. Ein Videofilm zeigt wie grüne Blätter, tropisch und besonders, ihre Farbe verlieren und sich um sich selbst drehen. Ein anderes Video bemüht die Mystik, alles wird in Buchstaben ausgedrückt, die sich immer tiefer ins Irreal-Intuitive hineinsteigern, die Bilder dahinter lassen mich allerdings kalt. „Adrian, en Pseudoviolinist“, nennt sich ein drittes Video. Da geigt einer vor einer Kirche rum. Warum Pseudo? Vielleicht haben die Leute, die den Film gedreht haben, ihn ja näher kennengelernt, ich aber nicht.
Gestern lief „Interfilm“ im Eiszeit, fsk und Arsenal an, ein weltumgreifendes Festival, das bis Sonntag die Kürze der Würze von Filmen nun erstmalig auch anhand von Videos erfahren läßt. Dahinter steckt als Organisator Heinz Hermanns vom Kino Eiszeit, der in Paris, Brüssel, Kopenhagen und Amsterdam bewegte Bilder sammeln ging. Postalisch dazuflogen US-amerikanische und australische Filme. So gibt es nun gebündelte Auswahlprogramme von Videos und Super-8 oder 16mm-Filmen, diverse Länderprogramme, ein Frauenprogramm, ein Sonderprogramm „Idiotenvideos aus Deutschland“ zusammengestellt von Stiletto Studios und „garantiert frei von Videokunst“ plus „Videokettenbrief“, ein Programm zum Thema „Tanz und Bewegung“, eine schwul/lesbische Filmnacht, ein „Berliner Realitäten„ -Programm, Konzerte, Performances und Seminare. Jede Vorstellung bringt etwa 10 verschiedene Filme von 1 bis 30 Minuten Länge. Angewandte Bildende Art e.V. ( Eiszeit-Kino) hat das Festival organisiert, unterstützt wird es von den Freunden der Deutschen Kinemathek, dem ASta der FU sowie mit schlappen 13.000 Mark vom Senat. Eine Duskussion über kulturelle Filmförderung in Berlin ist daher Teil des Festivalprogramms.
Die meisten Videos der Vorschau überzeugten mich wenig. „Peinture Graphique“ französischer Herkunft besteht aus gefilmten Malereien, die sich fortlaufend übereinander schieben - ein flimmernder Bewußtseinsverlust, und das Besondere an der Malerei wird gründlich versaut. Ein Trancezustand der Augen soll herbeihypnotisiert werden, schätze ich mal... Das Medium als Medium versus ein anderes Medium... Herumschrauben am Computer mit visuellen Konsequenzen - die Konzeptlosigkeit ist eine leichte Sommergrippe. Schließlich sollte es ja endlich Herbst werden. „Carte Postale“ (France) ist hingegen ein gelungener Videotrick. Plötzlich bewegen sich auf Postkarten jedesmal die unvorhergesehensten Stellen. Dramatisch vage als Stilbonbon hat Lars von Trier „Medea“ in Dänemark neu videoverfilmt. Der Mord an ihren eigenen Kindern ist die Rache der verstoßenen Gattin - im Film archaisch durchdrungen in jeder Weise. Mann und Frau kommen aus dem Wasser und gehen dorthin zurück, den Ufersand noch in den Händen. In der Weichheit der Farben und den fließenden Konturen der Kulisse bleibt Medea der einzige klare Umriß: ein schwarzes, enganliegendes Kleid, schwarzumhülltes Haupt und dieses schmerzdurcharbeitete Gesicht. Ein Film über ein exemplarisches Frauenopfer, das „ewig Weibliche“ oder über das „Ewige“? Elektronisches Flirren irritiert die wogenden Gräserweiten, Jason kniet am Meer, der Himmel klappt ab und wird grün - als ließe sich qua Medium Aktualität stiften. Videotypische Farbverfremdungen ziehen den Stoff aus einer vergessenen Vergangenheit in eine nicht greifbare Irrealität. Dabei hätte der Konflikt des Dramas Gegenwart genug: Wie kommt es, daß die Frau mit dem Mann „alles“ verliert, so daß sie sich selbst, ihre Kinder opfert, um ihn zu bestrafen (nun, auch männer verlieren mit der frau alles, zumindest solange, wie das eigene ego noch nicht in der lage ist, gleichzeitig sich selbst im andern zu verlieren und trotzdem weiter zu existieren. wer und wann erreicht schon diese maximalform von 'leben‘ an sich. tut mir ja leid, aber auch hier habt 'ihr frauen‘ den schmerz mal wieder nicht gepachtet - sezza)?
Als Frauenfilm geglückt dagegen ist die Mini-Oper „Not a jealous Bone“ von Cecilia Condit (USA), ein entspannt -lustiger Szenenrausch. Eine Achtzigjährige findet einen Knochen, der das Altern verhindert. Sie träumt von ihrer Mutter. Synthetisch sind die Horrorgesichter der auferstandenen Toten, und die Frau tanzt selbstvergessen am Meer. Die Kamera ist dabei ihre körperliche Vergänglichkeit, ihre verhornten Nägel, die Zähne im Glas etc.
Video ist das Dokumentationsmedium schlechthin geworden. Tonaufnahmen sind unkompliziert, Beleuchtungsprobleme wie beim Film gibt es nicht. Lebhafte Fetzen aus dem Berliner Polit-Alltag wurden in Sachen „Freie Fahrt für freie Bürger“ eingefangen. Sie hätten tief blicken lassen können, wenn der Film hätte genau hinhören wollen. Warum 7km Autobahn für viele Leute „das letzte Stückchen Freiheit“ sind, („wenn uns das genommen wird, können wir alles vergessen“), wird nicht gefragt. Bleibt zwar eine gute Präsentation naturwissenschaftlicher Irrargumente fürs Auto, aber die Stimmen werden in der Summe als lächerlich stehengelassen. Welche Sehnsucht treibt da wirklich den seelischen Motor?
Je vager desto Video - je flauer desto Film. Aber natürlich nicht immer in der Abteilung Super8 und 16mm. Hier geht zum Beispiel nichts über konservative Galanterie mit Hamburger Akzent. „Kontrolle des Alltäglichen“ (von Gilbert Rensch) will da einer und zeigt den stringenten Charme der „reinen Idee“. Plappert über sparsame Klopapierbenutzung, den Vorteil von Supermärkten bei der effektiven Kontaktvermeidung der Nachbarn und plädiert für ein Arbeitslosencamp, dann brauchen die Arbeitgeber nur aussuchen kommen. Straight gefilmt ohne nachträglichen Zauberstab.
Sehenswert finde ich auch „The Lead Dress“ von Virginia Murray aus Australien und „Wollan TV“ von Michel Lombet aus Brüssel - zwei surrealistisch erzählte Geschichten. „The Lead Dress“ ist ein Psychodrama, das sich zwischen Mutter und Filmemacherin-Tochter abspielt. Langsam aber sicher schlagen die Gegenstände zu, und Kind-Tochter taumelt im mütterlich genähten Kleid weg, ist zur Puppe geworden, wie an der Schnur aufgezogen... „Wollan TV“ wiederum macht die Glotze zur Krake, der Bildschirm fungiert nicht mehr als Trennfläche zweier Welten. Eine Parodie auf die „Modern Times“. Er leert die sehr schön gefilmte Whiskyflasche, sie räkelt sich in Seide auf dem Sofa, den Rest besorgt die Glotze. Die Zunge auf dem Bildschirm ist ihr genug Befriedigung, aber Rambo ist auch noch da, peitscht sie durch und zieht ihr das Fleisch in schleimigen Lappen von den Rippen.
„Queen of Junk“ heißt eine neue Version der Königin der Nacht von Monika Funke-Stern. Eine Prostituierte, die mit Hund speist, auf der Müllhalde lebt und authentisch erzählt, wie sie den Perversitäten ihres Zuhälters gerade noch entkam. Welche das waren (um in die Fratze der Wahrheit zu schauen), wird unbefriedigenderweise nicht gesagt, zu Mozarts Oper wird abgeblendet. Da bleibt der Müll.
Das Schönste in der U-Bahn-Welt von Jörg Staegers „Schacht“ sind die Pissepfützen. Das Gesicht des Darstellers, der nur sich selbst zeigt mit Bierdose vor dem Mund, bleibt hingegen öde.
Was das alles soll? Auch lange Reden über Video versus Film finden schwer einen kurzen Sinn. Da im einmal gedrehten Film hinterher kein Hokuspokus stattfinden kann, müssen Kulisse und Gesichter gleich „sitzen„; Film scheint mir süchtig nach real existierender Konkretheit im Bild zu sein, während Video sich alles aussuchen kann. Ins Material kann beliebig Farbe und Form hineingegeben werden. Das Bild hat seine eigene synthetische Vorstellung bekommen. Da kommt es darauf an, ob die Filmemacher auch eine hatten...
Sophia Ferdinand
„Interfilm 7“ noch bis Sonntag im Eiszeit, fsk und Arsenal. Genau Termine siehe Programmteil.
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