: Ozon: Treibgas fürs Atomgeschäft
Generalkonferenz der Internationalen Atomenergie-Agentur / Angst vor Treibhauseffekt soll Akzeptanz der Atomenergie fördern / Tschernobyl als Forschungszentrum / Kontroverse über Israel und Südafrika ■ Aus Wien Thomas Scheuer
Die internationale Atomgemeinde wittert Frischluft: Das Ozonloch war das meiststrapazierte Leck auf der diesjährigen Generalkonferenz der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA), die am gestern in Wien zu Ende ging. Wie schon auf der Weltenergiekonferenz vorletzte Woche in Montreal zeichnete sich auch diesmal eine deutliche Verlagerung in der Argumentation der Atomgemeinde ab: Nicht mehr so sehr abstrakte Prognosen über den Energiebedarf, sondern vielmehr das Schreckgespenst der Klimakatastrophe soll fürderhin der strahlenden Branche die mangelnde öffentlichte Akzeptanz verschaffen.
Vor allem Managern und Politikern aus den USA, wo die Atomindustrie im letzten Jahrzehnt ein wirtschaftliches Desaster erlebte, klotzten mächtig ran: Er habe immer an das „comeback“ der Kernenergie geglaubt, aber daß es so schnell kommen würde, freute sich etwa der Manager Linn Draper aus Texas, habe ihn doch überrascht. US-Energieminister James Watkins, ein Ex-Admiral, bekundete seine „feste Überzeugung, daß wir an der Schwelle einer neuen Ära für die Nuklearkraft stehen“. Werde der steigende Energiebedarf der kommenden Jahrzehnte durch fossile Kraftwerke gedeckt, so die Message der Strahlemänner, sei eine Verschärfung des Treibhauseffektes und damit die Klimakatastrophe vorprogrammiert. Rettung biete - gebetsmühlenartig rieselte es immer wieder aus den Kopfhörern der Übersetzungsanlage nur die Atomkraft. Die qualmt und stinkt eben nicht.
„Wir bekommen den neuen Trend in der Diskussion schon jetzt zu spüren“, bestätigte eine Mitarbeiterin der Grünen im Wiener Parlament. Doch Antworten auf die neue Kampagne müsse die Anti-Atombewegung erst noch finden. Jedenfalls sei die Atomkraft wohl von einem Teil der Ökologisten verfrüht beerdigt worden.
Auch die UdSSR der Glasnost-Epoche setzt auf einen massiven Ausbau der Atomkraft: Sie werde „in den nächsten Jahren zwangsläufig eine entscheidende Rolle spielen“, erklärte der Leiter der sowjetischen Atomkommission, Alexander Protsenko, gegenüber Journalisten. Nach seinen Angaben sind in der UdSSR fünfzehn neue Atommeiler im Bau; bis zur Jahrtausendwende solle die nukleare Kapazität verdoppelt werden. Derzeit würden dreizehn Prozent der Elektrizität durch Atomkraft gewonnen. Widerstände in der Bevölkerung gibt Protsenko zu, führt sie jedoch auf Unkenntnis zurück; der soll nun - ganz im Sinne der neuen Transparenz - mit westlicher Hilfe abgeholfen werden. Mit französischen Atomfirmen wurden jüngst Kooperations-Abkommen abgeschlossen, die auch Nachhilfe in Public Relations umfassen. Demnächst werden Film-Spots „made in France“ dem sowjetische Fernseh-Volk den Segen der Atomkraft nahe bringen.
Die sowjetische Delegation erneuerte in Wien ihren bereits im Juni vorgelegten Vorschlag, auf dem radioaktiv verseuchten Gelände des Katastrophen-Reaktors in Tschernobyl ein internationales Forschungszentrum unter der Leitung der IAEA einzurichten. Rund zwei Dutzend Länder, darunter auch die BRD, bekundeten in einer von der UdSSR-Delegation arrangierten geschlossenen Sitzung ihr Interesse an dem Projekt. Schließlich bietet Tschernobyl den Atompannen -Experten aus aller Welt die weltweit bisher einzige Gelegenheit, das komplette Einsargen eines havarierten Reaktors sowie die Dekontamination riesiger Geländeflächen life zu studieren. Die Sowjets ihrerseits sind scharf auf Technologie-Transfer für die Bewältigung der Katastrophenfolgen, räumen allerdings auch Probleme ein. So ist beispielsweise unklar, wo die Wissenschaftler wohnen, wo ihre Labors installiert werden sollen. Innerhalb einer 45km -Zone ist dies nicht möglich. Zwei Arbeitsgruppen sollen die technischen und finanziellen Modalitäten eines solchen Forschungszentrums abklären.
Kein Thema war in Wien das am Dienstag während der UNO -Vollversammlung in New York präsentierte Angebot der UdSSR, einen militärischen Plutoniumreaktor für Inspektoren der IAEA zu öffnen. Die UdSSR strebt eine Übereinkunft mit den USA über einen Stopp der militärischen Plutoniumproduktion an. Beide Staaten plagen enorme technische und Sicherheitsprobleme ihrer größtenteils veralteten Plutoniummeiler. Einige der sowjetischen Anlagen sind nach den Angaben von Alexander Protsenko bereits stillgelegt worden.
Für diplomatischen Zündstoff sorgten am gestern, dem letzten Tag dieses ansonsten äußerst langweiligen IAEA -Jahresmeetings, noch einmal die Dauerbrenner Israel und Südafrika. Mit 47 zu 27 Stimmen nahm die Generalkonferenz eine von mehreren arabischen Staaten eingebrachte Resolution an, in der Israel aufgefordert wird, sein gesamtes Atomprogramm dem Safeguard-Kontrollsystem der IAEA zu unterstellen. Gegen die Entschließung, die einer Verurteilung des streng geheim gehaltenen israelischen Atomprogramms gleichkommt, stimmten vorwiegend westliche Industrieländer, darunter alle zwölf EG-Staaten. Delegierte Israels und der USA hatten den arabischen Vorstoß als Diskriminierung verurteilt, weil darin ein bestimmtes Land der Krisenregion Naher Osten herausgegriffen werde. Der Sprecher Jordaniens konterte diesen Vorwurf mit dem Hinweis, daß Israel schließlich als einziges Land der Welt einen zivilen Atomreaktor eines anderen Landes, der noch dazu unter der Kontrolle des IAEA-Safeguardsystems stand, militärisch angegriffen hat. Im Juni 1981 hatte die israelische Luftwaffe den fast fertig gestellten Reaktor Osiris im Irak bombardiert. Die genannte Resolution bedeutet für Israel zwar eine diplomatische Schlappe auf dem UNO -Parkett, wird aber keine Konsequenzen für seine Beteiligung an den technischen und wissenschaftlichen Programmen der IAEA haben.
Die Beratung einer ähnlichen Resolution gegen Südafrika, die von schwarzafrikanischen Delegationen eingebracht worden war, dauerte bei Redaktionsschluß noch an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen