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Blähfässer vergiften Bundeswehrsoldaten

Rekruten wurden beim Umdeckeln von Fässern mit Dekontaminationsmitteln vergiftet und mußten ins Krankenhaus eingeliefert werden / Die Chemikalie entwickelt hochgiftiges Chlorgas / Soldaten hatten undichte Gasmasken / Lagerung bei der Bundeswehr ungesetzmäßig  ■  Von Wieland Giebel

Berlin (taz) - Solange der Russe Giftgas hat, brauchen wir Dekontaminationsmittel. Würde der Warschauer Pakt kein Giftgas mehr lagern, brauchte die Nato kein Entseuchungsmittel und der Unfall in Oberberken bei Ludwigsburg wäre nicht passiert. Der Russe ist schuld, daß die Bundeswehr nicht in der Lage ist, das hochgiftige Calzium-Hypochlorid H8, das selbst Chlorgas freisetzt, vorschriftsmäßig und ohne Gefahr für die Soldaten zu lagern. Acht Rekruten wurden nach Auskunft des Verteidigungsministeriums „vorsorglich durch den Truppenarzt in das Bundeswehrkrankenhaus Wildbad“ eingewiesen, nachdem sie C8 mit unzureichenden Schutzanzügen umdeckeln mußten. Neue Deckel mit Ventilen brauchten die Fässer, weil sie sich blähten und zu platzen drohten. „Ohne ABC-Ausbildung wurden wir nur kurz eingewiesen und besichtigten die Fässer ohne irgendwelchen Schutz. Weißes C8-Pulver war in beachtlichen Mengen zu sehen, ein leichter Chlorgeruch wahrnehmbar“, beschwerte sich Obergefreiter Philipp Kirsch bei dem Wehrbeauftragten. Am ersten Abend der Umdeckelungsaktion klagten die Soldaten nur über Hautreizungen, aber am zweiten Tag schon mußte sich der erste übergeben. „Uns wurde von den Vorgesetzten versichtert, daß der Stoff nicht giftig sei, sondern lediglich bei der Berührung mit Wasser eine ätzende Wirkung habe, deshalb auch der Schutzanzug.“ Zwei zivile Arbeiter, die die 3.000 Giftfässer mit dem Gabelstapler aus dem Munitionsdepot ins Freie zu den Soldaten transportierten, arbeiteten völlig ohne Atemmaske oder Schutzanzug. „Ich selbst“, fährt Philipp Kirsch fort, „hatte starke Atembeschwerden, da meine Schutzmaske nicht mehr dicht war.“ Trotz der Schutzanzüge verätzte sich ein Rekrut das Hemd, ein Schutzanzug riß auf, das Pulver drang in den Halsbereich ein. Kein Wunder, denn die Soldaten hatten diese Anzüge vorher noch nie angehabt. Die Gasmasken waren alt oder die Filter unbrauchbar. Auf Dichtigkeit, beschweren sich die Rekruten, wurde die Ausrüstung nicht überprüft. Bei Temperaturen über 25 Grad hätten die Fässer nicht geöffnet werden dürfen, aber selbst im Schatten sei an den heißen Augusttagen das Thermometer auf über 30 Grad gestiegen. Nach der Arbeit hatten die Soldaten zunächst keine Möglichkeit zu duschen. Die Soldaten konnten nach wenigen Tagen aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Daß die 1.800 Tonnen Calciumhydrochlorid H8 hochgiftig sind, wurde bereits einen Monat zuvor auf einer Tagung zum „Betriebsschutz im Heer“ dargestellt. Bei unsachgemäßer Lagerung, wurde dort festgestellt, könne es zu „exothermen Kettenreaktionen“ kommen. Wie sachgerecht gelagert werden konnte, war nicht bekannt, so das Verteidigungsministerium, weil „in der gewerblichen Wirtschaft verwendetes C8 schnell verbraucht wird.“ Bei der Bundeswehr, so der Bericht, „handelt es sich um eine nicht gesetzmäßige Lagerung der Dekontaminationsmittel“.

Die Rekruten ließen sich von den Beschwichtigungen ihrer Vorgesetzten nicht einlullen und riefen bei der Vergiftungszentrale der Universität Freiburg an. Dort wurde ihnen mitgeteilt, daß die Chemikalie alles andere als harmlos ist.

Ein internes Papier der Bundeswehr schließt, daß die unsachgemäße Lagerung der Stoffe „Straftatbestände nach dem Umweltrecht erfüllt. Dem Dienststellenleiter ist das strafrechtlich zuzurechnen. Er läuft Gefahr, daß er von der Staatsanwaltschaft zur Rechenschaft gezogen wird.“ Ob Dienstpflichtverletzungen aber wirklich vorliegen, so der Verteidigungsminister, „kann erst nach gründlicher Untersuchung entschieden werden“. Eine Stellungnahme des Verteidigungsministeriums war nicht zu erhalten.

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