Ein Binnenmarkt für Bilder

■ Rettung vor der Spielfilmlücke: Das „audivisuelle Eureka-Programm“

Einer gigantischen Muschel, dem Kongreßzentrum des Pariser Avantgarde-Stadtteils La Defense, sollte Europas Geist neu entspringen. Denn hier trafen sich am Wochenende 300 audiovisuelle Profis aus 27 Ländern, um sich dem US -amerikanischen Kulturimperialismus entschlossen entgegenzuwerfen. Es herrscht Krieg, kein Zweifel: „Wenn wir nicht unverzüglich das kulturelle Europa in Angriff nehmen, wird der Mörtel verwittern (...) Europa muß in der Lage sein, seine Identität zu schützen und zu entwickeln“, so die Weissagung von Gastgeber Fran?ois „Hiob“ Mitterrand. Längst nämlich haben die USA nicht nur den kalten Krieg, sondern auch - ein Blick auf die Mattscheiben des alten Kontinents lehrt es uns - den edlen Wettstreit um die Bilder gewonnen. Dies dürfe, da war man sich einig, keinesfalls sein, und so machten sich TV-Produzenten, Programmdirektoren, Regisseure und Kulturdezernenten daran, ein „audiovisuelles Eureka“ zu skizzieren, eine Art Merkantilismus in Sachen Bilder made in Europe, der Produktion, Ausbildung, Vermarktung und Technologie zu koordinieren sucht.

Der Zeitpunkt war vom derzeitigen EG-Vorsitzenden Frankreich mit Bedacht gewählt, denn am heutigen Dienstag wird der Ministerrat in Luxemburg über die legendäre EG -Direktive „Fernsehen ohne Grenzen“ befinden - ein Papier, das vor allem in französischen Kreativenkreisen als Sterbeurkunde des Abendlandes gelesen wurde. Im Frühjahr hatten die EG-Länder Frankreichs Vorschlag, für Nicht-EG -Produktionen Maximalquoten einzuführen, abgelehnt. Statt dessen einigte man sich auf die Kompromißformel, in den Programmen mehrheitlich europäische Produktionen zu zeigen, „immer wenn dies möglich ist“.

Schon diese diffuse Formulierung allerdings veranlaßte US -Präsident Bush, eine Klage vor der Handelsorganisation GATT einzureichen und seine Außenhandelsberaterin Carla Hills nach Paris zu schicken, um für Hollywood zu lobbyieren; schließlich wurden 1988 für 700 Millionen Dollar US -Sendungen eingekauft (davon übrigens ein Drittel von Frankreich - schäm dich, Fran?ois!).

Weil Frankreich eingesehen hat, daß eine schärfere Quotierung nicht durchzusetzen ist, sollen nun die Produktionsbedingungen verbessert werden. Angesichts der zunehmenden Zahl der Anbieter „braucht Europa“, so sagt man, jährlich 16.000 Stunden Spielfilme. Produziert werden jedoch nur 2.500, und von diesen sind es nur 500 wert, exportiert zu werden. Wetten, daß oder Coronation Street sind eben nicht exportfähig. Und trotz EG-weiten Rennern wie Derrick oder Schwarzwaldklinik fehlt es an „universalen europäischen Produktionen“, wie die Pariser Arbeitsgruppe „Produktion“ feststellen mußte. Konsequenz: Die Spielfilmlücke wird mit universalen US-Produktionen gefüllt. Auch Quoten helfen da nicht weiter.

Deswegen also „Eureka“. Ein einsichtiges, aber schwieriges Unternehmen. Denn was, so fragte die Gruppe, in der Richard Attenborough saß, ist eigentlich „europäisch“? Schließlich gäbe es „eine ständige Interpenetration zwischen beiden Kulturen“. Scorcese und Coppola sind eben in erster Linie gute Regisseure, unabhängig davon, was für einen Paß sie in der Jeans tragen. Antwort wußten die Pragmatiker von der Gruppe „Vermarktung“. Sie tüftelten ein Punktesystem aus, das etwa dem „zweithöchst bezahlten Schauspieler“, sofern er Mitglied eines der im Europarat vertretenen Länder ist, einen Punkt zugesteht. Dazu kommen Regisseur (zwei Punkte) und Cutter (ein Punkt) undsofort. Europäisch ist ein Film nur, wenn er acht von zwölf möglichen Punkten erreicht. Dalli, dalli!

Mit Fragen dieser Art beschäftigte man sich also, kam aber dennoch zu gewissen Empfehlungen, derer sich die Ministerratstagung in Strasbourg anzunehmen haben wird. So wurde von „Channel Four“ vorgeschlagen, einen europäischen Fonds für die Verteilung „hochwertiger“ Programme einzurichten, etwa für den Edelsender „La Sept“. Die Europäische Produktionsgruppe GEP (ZDF, RAI, Channel Four, Antenne 2 und andere) kündigte an, ihre Koproduktionen bis 1991 überplanmäßig zu verdoppeln, wobei sich Literaturverfilmungen anböten, so der neue Antenne2-Chef Gaillard. Von einem „audiovisuellen Raum Europa“ könne, so fand die Gruppe „Spielregeln“ ihrerseits heraus, noch keine Rede sein. Dringend müßten Autorenrechte und Arbeitserlaubnisse für Kreative per EG-Verordnung harmonisiert werden. Auch ein europäisches Filminstitut soll es geben, um quasi einen Binnenmarkt für Talente zu schaffen. Entscheidend sei auch, aber das ist nichts Neues (siehe taz vom 19.8. und 1.9.), daß die EG auf dem 100 Millionen ECU-Markt des hochauflösenden Fernsehens HDTV präsent sei.

Im Kampf gegen die Supermacht Hollywood ist Westeuropa jeder Bundesgenosse willkommen, und sei er aus dem Osten. Zu den nationalen Koordinatoren des „Eureka„-Programms gehört wie selbstverständlich auch Genadi Gerassimow, der Sprecher des sowjetischen Außenministeriums. Ungarns Vertreter meinte am Samstag: „Ich freue mich, wieder Teil Europas zu sein.“ Der kalte Krieg ist vorbei - auf geht's zum heißen Streit um das universale Imaginäre.

taz