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Zeugen getäuscht

Simon Wiesenthal und der Zentralrat der Sinti und Roma fordern Ausschluß eines Verteidigers im Siegener NS-Prozeß  ■  Aus Düsseldorf B. Markmeyer

Weil sie ZeugInnen getäuscht und deren Aussagen mißbraucht hätten, erhob der Vorsitzende des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, gestern schwere Vorwürfe gegen die Verteidiger des ehemaligen SS-Mannes und Blockführers im sogenannten „Zigeunerlager“ Auschwitz-Birkenau, Ernst-August König (70). Vor dem Siegener Landgericht wird nach 27jährigen Ermittlungen gegen König seit Mai 1987 wegen mehrfachen Mordes an Sinti und seiner Beteiligung an der Erschießung und Vergasung Tausender von Häftlingen verhandelt. Der Siegener NS-Prozeß ist bisher der einzige in der BRD, in dem es vorrangig um den Völkermord an Sinti und Roma geht.

Fritz Steinacker, prominenter und berüchtigter Nazi -Verteidiger in allen großen NS-Prozessen, und seine Kollegen Georg Bürger und Horst Loebe verschickten Fragebögen an überlebende Auschwitz-Häftlinge, in denen sie nicht als Verteidiger Königs, sondern als Ermittler auftraten. Sie täuschten die späteren ZeugInnen über den Gegenstand des Verfahrens. Während König wegen seiner Verbrechen bis Ende 1943 in Auschwitz-Birkenau vor Gericht steht, erwecken Steinacker und Kollegen in dem der taz vorliegenden Fragebogen den Eindruck, daß die Überlebenden des KZ Jaworzno, einem Außenlager von Auschwitz, Angaben zu Königs Taten in diesem Lager machen sollen.

Tatsächlich sei König aber erst nach seinen Verbrechen in Birkenau nach Jaworzno gekommen, sagt Rechtsanwalt Arnold Roßberg, der als Nebenkläger eine Frau vertritt, die als 12jährige mitansehen mußte, wie König ihren Vater zu Tode trat. Die Antworten (durch Ankreuzen) der ZeugInnen auf die suggestiv formulierten Fragen mißbrauche die Verteidigung, so Roßberg, um nachträglich ein Alibi für König zu konstruieren.

Königs Verteidiger weigern sich, den übrigen Prozeßbeteiligten die beantworteten Fragebögen vorzulegen. Einen Antrag der Nebenkläger auf Beschlagnahmung lehnte das Gericht ab, da „die Adressaten nicht in einem beachtlichen Umstand getäuscht“ worden seien. Einen zweiten Antrag, die ZeugInnen über den tatsächlichen Gegenstand des Verfahrens aufzuklären, lehnte der Vorsitzende Richter Dirk Batz ebenfalls ab.

Rose und Nazi-Verfolger Simon Wiesenthal fordern deshalb von NRW-Justizminister Krumsiek und Bundesjustizminister Engelhard, auf einen Ausschluß Steinackers vom Siegener Verfahren hinzuwirken.

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