: Falsche Erziehung der Ungarn?
■ Zu den Kreditbürgschaften Stuttgarts, Münchens und Bonns für Ungarn
So ist es gerade recht. Da freuen sich die bundesdeutschen Politstrategen darüber, daß die Länder des Rates für angebliche gegenseitige Wirtschaftshilfe eins nach dem anderen wie faule Früchte vom Baum der Sünde wider die reine Wirtschaftslehre auf die blühende Wiese der kapitalistischen Marktwirtschaft fallen. Wie schön, hört man allenthalben, und selbstverständlich wollen nun jene, die es schon immer gewußt haben, wie es geht, den Nachwuchs-Marktwirtschaftlern aus dem Osten Nachhilfeunterricht geben. Aber gleich in der ersten Unterrichtsstunde häufen sich die wirtschaftspädagogischen Freveltaten.
Joint Ventures sollen her, en masse. Die mittelständischen Betriebe aus den südlichen Wirtschaftsmusterländern Baden -Württemberg und Bayern sind als geeignete Unterrichtsmaterialien auserkoren und sollen nun Ungarn beim Aufbau des Kapitalismus helfen. Aber ausgerechnet diese strebsamsten und effizientesten aller Freiwirtschaftler sind nun offenbar darauf angewiesen, daß sie von ihren Regierungen aus deren öffentlichen, staatlichen Etats alimentiert werden: Zinsgünstige Kredite, Landesbürgschaften und dergleichen mehr und dann auch noch mit ausdrücklicher Garantie, daß auch nur Unternehmen aus den Musterländern in den Genuß dieser Joint-Venture-Subventionen kommen, unter ausdrücklicher Ausschaltung also des ersten Wirtschaftsgebotes: Konkurrenz zu den anderen Unternehmen. Was sollen die kleinen Ungarn darüber denken, was aus ihnen werden soll, wenn sie erst mal groß sind und sich im freien Westen ungeschützt bewegen dürfen?
Der erstaunte Kommentator kann all dieses nur darauf zurückführen, daß die westlichen Strategen von der Schnelligkeit der Ereignisse überrollt wurden und kein in sich schlüssiges wirtschaftspädagogisches Konzept mehr entwickeln konnten. Oder sollte am Ende das, was jetzt zwischen den Bundesländern, Bonn und den Unternehmern aus den südlichen Ländern ausgehandelt wurde, genau das sein, was ihn ausmacht, den Kapitalismus? Das fragt sich ganz besorgt
Ulli Kulke, Diplom-Wirtschaftspädagoge
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