: Moskau schickt Truppen nach Armenien
■ Nach dem Beschluß des Obersten Sowjets Truppen in Armenien / Dort sollen sie die Verkehrsverbindung zwischen Aserbaidschan und Armenien wiederherstellen / Versorgungslage in Berg-Karabach katastrophal / In Aserbaidschan droht ein Generalstreik
Moskau (ap/afp/apn) - In der armenischen Hauptstadt Jerewan sind am Donnerstag Truppen eingetroffen, um die Eisenbahnverbindung zwischen Armenien und Aserbaidschan wiederherzustellen. Das ist Konsequenz des Beschlusses des Obersten Sowjets vom Dienstag, Streiks zu verhindern und notfalls durch den Einsatz des Militärs zu brechen.
In einem Telegramm an den Obersten Sowjet hatte die aserbaidschanische Volksfront kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes am Dienstag abend angekündigt, sie werde auf eine solche Maßnahme mit der Ausrufung eines Generalstreiks antworten, da „ein Eingreifen der Armee eine offene Aggression gegen das aserbaidschanische Volk“ darstellen würde. Die Volksfront würde sich dann „in der Frage des Ausscheidens Aserbaidschans aus der UdSSR an die internationalen Organisationen wenden“.
Die Lage wird vor allem deshalb kritisch, weil die aserbaidschanischen Eisenbahner, um den Anspruch ihrer Republik auf die vorwiegend armenisch besiedelte Enklave Berg-Karabach durchzusetzen, den Eisenbahnverkehr dorthin blockieren. Daran hatte sich bis Donnerstag auch nach dem Beschluß des Obersten Sowjets nichts geändert. Über Aserbaidschan aber laufen ca. 80 bis 85 Prozent der Versorgung Armeniens. Allein im August und September haben laut Radio Moskau 32.000 Güterwagen mit Lebensmitteln, Treibstoffen und Baumaterial wegen Sabotageakten in Aserbaidschan die Nachbarrepublik Armenien nicht erreicht.
Die 'Komsomolskaja Prawda‘ sprach am Donnerstag von einer „drastischen Verschlechterung der kriminellen Lage“. Jeden Tag würden Zivilisten, sogar Kinder beider Volksgruppen Opfer von Anschlägen. Armenien drohe ein Hungerwinter. Katastrophal sei die Lage in dem von einem Erdbeben im vergangenen Dezember verwüsteten Gebiet. Dort fehle Baumaterial für neue Häuser. Jeder fünfte Bewohner Armeniens habe kein Dach über dem Kopf. Armenien habe durch die Blockade bereits Verluste in Höhe von 200 Millionen Rubel (rund 600 Millionen Mark) erlitten. Wegen fehlender Treib und Schmierstoffe sei die Ernte von Getreide, Mais und Gemüse „praktisch auf dem Feld geblieben“.
Nicht weniger kritisch ist die Lage in Berg-Karabach, das bereits seit Juli total abgeriegelt ist und nur noch mit Militärhubschraubern aus der Luft versorgt werden kann.
Ministerpräsident Ryshkow erklärte zu der Situation in einem Interview mit der sowjetischen Nachrichtenagentur 'apn‘, die Regierung hoffe auf die Vernunft der Streikenden, fügte aber hinzu: „Falls die Eisenbahner dem Beschluß des Obersten Sowjets nicht Folge leisten und die Arbeit nicht wiederaufnehmen, werden wir ein System der erforderlichen Maßnahmen ausarbeiten. Vorderhand habe ich jedoch keine Befehle erteilt.“ Das hat sich inzwischen geändert.
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