: Bonner Botschaft weiter offen
■ Nach wie vor gelangen Ausreisewillige in die Bonner Vertretung in Warschau / CSSR-Grenzer schickten DDR-BürgerInnen zurück / Flucht über die grüne Grenze? / Übersiedler vom Wehrdienst zurückgestellt
Warschau/Bonn (afp/dpa/taz) - Der Zustrom von DDR -BürgerInnen in die Bonner Botschaft in Warschau hält auch nach der Abfahrt eines Sonderzuges mit Ausreisewilligen an. Während am Freitag morgen 633 Flüchtlinge per Zug aus Warschau in der Bundesrepublik eintrafen, meldeten sich Korrespondentenberichten zufolge bei der bundesdeutschen Vertretung wieder mehr als 100 Ausreisewillige. Die Bonner Vertretung in Prag wird währenddessen von Polizisten abgeriegelt. Währenddessen hat der tschechoslowakische Ministerpräsident in einem Zeitungsinterview versichert, die Botschaft werde weiter frei zugänglich bleiben. Über die Schließung der Botschaft entscheide allein der Botschafter. In der Prager Botschaft halten sich derzeit „einige“ DDR -Bürger auf, hieß es; ebenso offenbar in Sofia. Insgesamt seien außerhalb des regulären Ausreiseweges seit Ende August mehr als 45.000 DDR-Bürger in die Bundesrepublik gekommen, sagte Regierungssprecher Klein am Freitag.
Der Zugang zur Bonner Vertretung in Warschau wird von der polnischen Polizei nicht behindert. Die meisten DDR-Bürger waren mit offiziellen Reisedokumenten nach Polen gekommen, die aufgrund von Einladungen polnischer Freunde oder Arbeitskollegen ausgestellt worden waren. Mehrere DDR-Bürger gaben an, daß solche Reisen jetzt nicht mehr genehmigt würden. Einige überschritten die Grenze illegal. Polens Regierung hatte am Donnerstag bestätigt, daß illegal eingereiste DDR-Bürger, die im Grenzbereich aufgegriffen werden, zurückgeschickt würden.
Für die CSSR genehmigen die DDR-Behörden seit Dienstag offenbar nur noch Kuraufenthalte. Nach bisher unbestätigten Berichten sollen sich derzeit die Fluchtversuche über die grüne Grenze in die CSSR mehren. Das Prager Innenministerium gab bekannt, innerhalb von 48 Stunden seien 400 DDR-Bürger auf CSSR-Gebiet gefaßt und zurückgeschickt worden.
Währenddessen gab das Bundesverteidigungsministerium gestern bekannt, daß Übersiedler aus der DDR und Aussiedler in den ersten zwei Jahren vom Wehrdienst befreit sind. Falls es Probleme bei der Eingliederung gebe, könnten die Kreiswehrersatzämter den Einberufungstermin noch weiter verschieben. Die Bundeswehr werde ihre Engpässe nicht durch „Zugriff“ auf die Neuankömmlinge auffüllen, erklärte Verteidigungsminister Stoltenberg. Freiwillige würden selbstverständlich genommen.
Gegen den Protest einzelner SPD-Abgeordneter trat gestern die Ausnahmegenehmigung für die von den DDR-Ausreisern mitgebrachten „Trabbis“ in Kraft. Die stinkenden Zweitakter können damit nicht nur zugelassen, sondern auch verkauft werden.
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