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Bei Anne und Walter zum Kaffee

■ Total multikulturell: Echte und heimliche Sozis bei Kaffee und Kuchen / „Berliner Mischung“ zu Besuch bei Walter Momper im Kiez

Ganz weit hinten im Kopf geistert bei den Kindern der Sechziger und Siebziger noch der Willy herum. Der heimliche Sozialdemokrat in uns allen, enttäuscht zwar von der großen Mutter, von der Arbeiterklasse, verstoßen, verlassen, heimatlos in der kalten AL, verbissen in der technokratischen BI, und in der Zweck-WG dahinvegetierend... Und dann kam Walter.

Und der und seine Obersozis wissen das alles. Walter als Wunderwaffe. Mit einem Streuselkuchenblech, einem strahlenden Senatssprecher Kolhoff und Ehefrau Anne trat er vors versammelte Volk und die eigene Haustüre in der Fichtestraße. Multikulturelle Kiezfete „bei Anne und Walter“ war angesagt, und Hunderte trieb es unter die Fenster des Landesvaters. Ganz vorne natürlich die ummauert ergrauten Rentnerinnen, die schon bei Eberhard nie fehlten, und die ansonsten natürlich mit den Ausländern, Asylbewerbern... (vergessen wir das heute).

Und alle drängeln auf Walters Haustüre zu. Bedrohlich schwankt das Transparent der BI Schichauweg. Walter!-Walter! -Rufe. Der Chor hebt an. Indianergeheul und Trillerpfeifen der Autonomen. „Momper raus!“ Aber Momper strahlt. Dialog eines Ehepaares, angereist aus einem südlichen Außenbezirk: „Sieht aus wie'n Pfirsich, so glatt.“ - „Den hamse se ja auch vorher jeschminkt.“

Und manch einer, der sonst allenfalls aus intellektueller Distanz die Walter-Momper-Sammelbilder aus der 'Titanic‘ schnippelt, reiht sich mit feuchten Augen ein in Walters Prozession zur Bühne. Kein Wähler, aber Momper-Fan. Und Walter freut sich über den multikulturellen Kiez. Die SPD Kreuzberg bietet passend auch „ungarisches Kesselgulasch“ und „Wiener Würstchen“. Zugleich auch ein Verweis auf aktuelle deutsche Reiserouten. Und sogar ein paar echte Ausländer sind da und klatschen feste mit.

Und nach kurzem Gerangel mit dem schwarzbehemdten Leadsänger der Band dürfen die Besetzer ihr Flugblatt verlesen, und Walter badet im Volk, das nun Fragen stellen darf. Dem kommt aber eine SFB-Frau zuvor, und Walter statemented freudig ins hellblaue Mikro. Immer auf Manndeckung: die BI Schichauweg. Bei Faßbrause und Grillsteaks kommen auch unter Nicht-Sozis Vergleiche auf. Irgendwie schöner als AL-Feten, zumal man nicht nur solidarisch Dritte-Welt-Kost kriegt oder sägemehltrockene Vollwertkuchen verdrücken muß. (Bei den Sozis backen die Frauen, und das traditionell mit Nuß, Schoko und Creme, während die Ehemänner zapfen und am Grill jonglieren.) Und schöner als zu jenen Zeiten, als die Nadelstreifen -Laienspielschar Weltstadt und Metropole aufführen wollte, isses ohnehin. Und selbst für den Plastikbecher nehmen die SPDler jetzt 50 Pfennig Umweltpfand. Rot-Grün tut gut.

tom

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