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Stadtillustrierte: Ein Werbeträger wird entdeckt

Nach dem Jahreszeitenverlag steigt jetzt auch Gruner und Jahr ganz groß in die Anzeigen-Akquisition einstiger Sponti-Gurkenblättchen oder Heavy-Metal-Heftchen ein  ■  Von Petra Höfer

Vor rund drei Jahren hatte sich Gruner und Jahr (G+J) noch geziert. Als ihm der Pflasterstrand die bundesweite Verbreitung des Frankfurter „Metropolen -Magazins“ angeboten hatte, winkte der Hamburger Großverlag ab. Der Grund: nicht zufriedenstellende Erfolgsprognosen. Heute nun fürchtet G+J (u.a. 'Stern‘, 'Brigitte‘, 'Viva‘, 'Geo‘, 'Capital‘) offenbar, der Zug könnte endgültig ohne ihn abfahren, und springt noch schnell auf. Ab sofort schaltet sich G+J in das Anzeigengeschäft einst alternativer Stadtmagazine ein und hat auch sogleich einen Vertrag mit deren bundesweit größtem Verbund geschlossen.

Ausschlaggebend für das plötzliche Engagement im einst wenig aussichtsreichen Stadtmagazin-Markt war das Vorpreschen der Konkurrenz. Anfang des Jahres setzte der Geschäftsführer des Hamburger Jahreszeiten-Verlages (Jalag), Thomas Ganske, der zauderlichen Branche das Stadtzeitungsprojekt Prinz-Kommunikation (75 Prozent Jalag, 25 Prozent Prinz-Verlag, Bochum) vor die Nase. Das Konzept: eine weitgehend gleichgeschaltete Hochglanz-Reihe von Ablegern des einst als Gegenöffentlichkeit gestarteten Stadtmagazins 'Prinz‘. Mit der geplanten 'Prinz'en-Garde in neun kaufkraftstarken Ballungszentren der Republik und den Yuppie-Titeln 'Tempo‘ und 'Petra‘ hatte Jalag im Jungleser-Segment damit eindeutig die Nase vorn. Bereits Mitte des Jahres hieß es denn auch, G+J bastele ebenfalls an etwas Jugendlichem.

Der neue Großverlags-Dreh im Stadtillustrierten-Markt nennt sich „Dienstleistungs„-Deal. G+J übernimmt ab sofort die lukrative Anzeigen-Akquisition von Markenartikeln für sämtliche Titel der Kombinations Stadtillustrierte (KSI), des mittlerweile größten Verbundes der Stadtmagazine: 'Düsseldorfer Illustrierte‘, 'Kölner Illustrierte‘, 'Marabo‘ (Ruhrgebiet), 'Auftritt‘ (Frankfurt), 'Ketchup‘ (sowohl Stuttgart als auch Rhein -Neckar), 'Schädelspalter‘ (Hannover) und KSI-Neuling 'Szene Hamburg‘. Außerdem kommen die Überläufer 'Bremer Blatt‘ und 'Tip‘ (Bielefeld), vormals aus dem Konkurrenzbündnis Scene Programm Presse (SPP) sowie das 'Stadtblatt Osnabrück‘ aus dem Klub City Connect unter die Fittiche von G+J.

Man hatte einen „starken Partner“ gewollt, sagt Lilliu Graf, Prokuristin der KSI-Zentrale in Berlin. Die Mediaplaner der Werbeagenturen mit nationaler Markenartikler -Klientel schalten ihre KSI-Anzeigen über die sechs G+J-Verlagsbüros, wo auf KSI spezialisierte Akquisitions-Profis sicherlich auch einmal die Werbe -Kundenkartei des G+J-Titels 'Stern‘ durchblättern. Die Vermittlung nationaler Werbekundschaft, so Andreas Meier, Assistent des Hamburger G+J-Vorstandes, „muß KSI natürlich bezahlen“. Zahlen werden nicht genannt. Man ist diskret.

Nach einer Dekade kleinstkapitalistischer Erfolgsstories zum Thema „Lehramtsstudenten-zu-Verlegern“ und siebzehn Jahre nach Gründung der ersten Stadtmagazine Berlin ('tip‘), München ('Blatt‘) und Würzburg ('Pupille‘) steigt also die Großverlagskonkurrenz in den selbstgemachten Markt der einst alternativen Presse-Szene ein. Jahrelang hatte man hier relativ unbeachtet im Kleinanzeigen-Geschäft herumgewurschtelt. Mittlerweile aber liegt die Gesamtauflage der 114 in Media-Daten ausgewiesenen Stadtzeitungen bei 2,3 Millionen Heften pro Monat ('Spiegel‘ und 'Stern‘ müßten dafür bereits zusammenschmeißen). Der für 1989 veranschlagte Anzeigen-Umsatz entspricht mit 60 Millionen Mark dem von 'Autobild‘, 'Wirtschaftswoche‘, 'Capital‘ oder 'Radio ffn‘.

Stetig steigende Auflagezahlen, überdurchschnittliche Leser -Blatt-Bindung und traumhafte Werbe-Reichweiten im traditionellen Zielgruppensegment der 17- bis 35jährigen kein Wunder, daß Verlagsprofis jeglicher Couleur im Stadtmagazin-Markt mittlerweile profitable Medienobjekte für die nächsten Jahrzehnte vermuten.

135 Titel, 13 Formate, unterschiedlichste Auflage und Anzeigenpreise verursachten bei Media-Planern einst vorwiegend Alpträume, sie standen dem bunten Nebeneinander von Sponti-Gurkenblättern, Lifestyle Geldmühlen und Heavy -Metal-Heftchen hilflos gegenüber. Erst die großen Anzeigenverbände der Stadtzeitungen - KSI und Scene Programm Presse (SPP) - bringen seit einigen Jahren ein Mindestmaß an Übersicht und Kalkulierbarkeit für die werbetreibende Wirtschaft, die die Stadtzeitungsklientel lange als Halfzware rauchende Links-Intellektuelle mit verschwindend geringem Netto-Einkommen, selbstgestricktem Schlabberpulli und retardiertem Konsumverhalten beargwöhnt hatte. Heute wird die urbane Leserschaft längst nicht mehr nur mit Drehtabak- und Altbier-Reklame umworben - selbst in den Branchenzwergen wie 'Nebelhorn‘ (2.000 Hefte für Koblenz) oder 'Herr Schmidt mit Pupille‘ (4.000 Hefte fürs nordbayerische Würzburg). „Überregionale Anzeigen“, so Günter Macho vom Bochumer KSI-Mitglied 'Marabo‘, „bringen bei unserer Auflage (knapp 30.000) pro Farbseite vier- bis fünftausend Mark. Davon leben wir halt.“

Auflage und Werbeumsatz der einstigen Sponti-Blätter ziehen mittlerweile Kapazitäten aus dem Großverlagsrepertoire ab. Das hat die Etablierten aufgeschreckt. Jalag versucht dementsprechend über 'Prinz‘ und dessen Szene Glaubwürdigkeit in den Stadtmagazinmarkt zu kommen. G+J dagegen testet erst mal unverbindlich und risikolos mit KSI, einer laut G+J-Verlagsprofi Andreas Meier „profilierten Titelpalette mit zukunftsträchtigem Konzept“. Veranschlagte Verkaufsauflage für 1990: 217.480 Hefte. Zudem verhandelt KSI bereits mit dem Berliner 'tip‘, dem Stadtmagazin der Achtziger, mit vorbildlicher Bilderbuchkarriere vom kostenlosen Achtseiten-Alternativ -Programmheftechen (1972) zum 14tägig erscheinenden 200 -Seiten-Kompendium mit gut 41 Prozent Werbeanteil und einer Bundesausgabe für Westdeutschland. Der 'tip‘ würde die KSI-Auflage auf einen Schlag um 100.000 Hefte steigern.

KSI bleibt beim Dienstleistungs-Deal mit dem Großverlag trotz allem erstmal unabhängig, authentisch, glaubwürdig. G+J bittet sogar ausdrücklichst um „Erhalt der Originalität“ (Meier). Neben der nationalen Anzeigen -Akquisition bekommen die KSIler auch noch: EDV-Anschluß ans verlagseigene Dokumentationsarchiv und preisgünstigen Zugriff auf den G+J-Redaktions-Pool (Fotos, Interviews, Texte). Daß sich die selbstlose Zurückhaltung des Verlagsriesen in Jahresfrist durchaus ändern kann, wissen alle Beteiligten. „Letzlich“, so Günter Macho, Miteigner des KSI-Mitglieds 'Marabo‘, „ist alles eine Frage des Preises.“

Angesicht der beiden Großverlagskombis flüchtet sich die noch immer autonom agierende, älteste 'Stadtillu-Kombi Scene Programm Presse‘ (SPP) unter die alternative Kuscheldecke: gewachsene Strukturen, Kompetenz vor Ort, Inhalt statt Aufmachung, regionales Anzeigengeschäft. Es gilt, die authentische Marktnische zu sichern, nachdem 'Prinz‘ bereits zwei der auflagenstärksten, auf Yuppies orientierten SPP-Titel gekauft hat: 'Tango‘ (Hamburg) und 'Stadtzeitung‘ (München). Letztere angeblich im siebenstelligen Take-the-money-and-run-Deal mit Privatverleger Arno Heß. Die darob arbeitslos gewordene Redaktion will gemeinsam mit 'Abendzeitung'-Verleger Johanes Friedmann den 'Prinz'en das Geschäft mit der legendären Münchener Kaufkaft vermiesen. Sie arbeitet an einem zweiwöchentlich erscheinenden 'Stadtmagazin‘.

Symptomatisch für die Dynamik des Marktes: Die bisher einzige werbewirtschaftlich orientierte Leser-Analyse der Stadtillustrierten-Branche hat ausgerechnet SPP in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse der Infratest-Erhebung (1988) gefielen selbst Jalag so gut, daß man zur 'Prinz‘ -Präsentation gern darauf zurückgriff.

Das Millionen-Engagement des Jalag (allein der 'Prinz' -Werbe-Etat liegt bei 2,3 Millionen Mark) machte selbst der sonst eher betulich-schläfrigen 'WAZ'-Gruppe in Essen mit, die 'WAZ'-typische Billigversion eines kostenlosen Stadtzeitungs-Supplements zur Tageszeitung in allen vier Titeln der 'WAZ'-Gruppe umzusetzen. Zwei weitere Supplement -Verlage im Süden und in Nordrhein-Westfalen brüten übrigens über ähnlichen Projekten.

In Frankfurt bereiten unterdessen der Fuldaer Verleger Matthias Kierzek und der designierte 'Pflasterstrand' -Chefredakteur Matthias Horx (Ex-'Tempo‘, Ex-'Zeitmagazin‘) die De-Luxe-Version eines „intelligenten Stadtmagazins für Erwachsene“ vor - zum Erwachsenenpreis von sechs Mark. Hier modelt Horx aus dem ältesten Alternativunternehmen der Branche ein zeitlos „schönes“ Metropolen-„Journal“, das nach einjähriger Testphase im Rhein-Main-Gebiet bundesweit verbreitet werden soll. Mit Großverlagshilfe. Horx‘ Motto zum gediegenen, klassisch-feuilletonistischen Stadtmagazin: „Den Dilettantismus der frühen Jahre zu einem guten Ende führen.“

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