: „Der Sozialismus-Begriff ist für mich zerfallen...“
■ Sozialismus out oder: Was ist aus den linken Träumen geworden? / 1. Folge: Interview mit Ralf Fücks, früher kommunistischer Kader, jetzt Sprecher der Grünen
Wieviele Jahre Deines Lebens hast Du für den Sozialismus gekämpft? Wann hat das angefangen?
Fücks: Achtundsechzig, als die Nachrichten aus den studentischen Metropolen in die pfälzische Provinz schwappten. Ich als Oberschüler hab‘ das aufgesogen wie ein Schwamm. Das war eine willkommene Möglichkeit, meine Autoritätskonflikte auszutragen: mit Eltern, mit Lehrern, mit dem ganzen kleinstädtischen Mief. Und dann hat sich das politisch radikalisiert und theoretisch verfestigt.
Was wurde das für ein Sozialismus?
Fücks: Das war vor allem das Versprechen auf Freiheit, sexuelle Freiheit, auf Respektlosigkeit gegenüber Institutionen. Das war ein eher emotionaler Antikapitalismus, der in der Parole zusammengefaßt war: Kapitalismus führt zu Faschismus, Kapitalismus muß weg. Die Auseinanersetzung mit dem Nationalsozialismus war mein Bildungserlebnis. Sozialismus war für mich die kurzgefaßte Antwort.
.. die in China konkret wurde?
Fücks: Mit dem realen Sozialismus in der Nähe konnte ich mich nicht identifizieren, das war ein anderes Schreckbild. China in der Ferne, wo die Utopie sich nicht an der Realität messen mußte, war eine Wunschprojektionsfolie, es gab keine Auseinandersetzung mit der chinesischen Wirklichkeit.
Für die Utpoie bist Du in den Knast gegangen?
Fücks: Nicht für den Maoismus. Konkreter Anlaß war die Rektoratsbesetzung in Heidelberger Uni mit der Forderung, Strafanzeigen zurückzuziehen, juristisch übersetzt: Hausfriedensbruch, Nötigung. Richtig ist, daß die Erbitterung, mit der wir diese Auseinandersetzung geführt haben, undenkbar gewesen wäre ohne den ideologischen Kontext, in dem wir unser eigenes Handeln verstanden haben. Das war unsere historische Maskerade.
Bleibt von der Maskerade 1989 - angesichts der Entwicklungen in China, in der Sowjetunion, in der DDR etwas übrig?
Fücks: Das ideologische Kostüm, und dafür trifft der Begriff Maskerade, hatte nichts zu tun mit der gesellschaftlichen Situation, in der wir gelebt haben. Aber der Sozialismus war die geschichtsmächtigste gesellschaftliche Emanzipationsbewegung in der Neuzeit. Ich sehe, daß sie einen ganz anderen Verlauf genommen hat als wir uns erträumt hatten, schon im 19. Jahrhundert verwandelte sich die sozialistische Bewegung in eine sozialreformerische. Am Ausgang des 1. Weltkrieges war Sozialismus mehr eine Legitimationsideolgie für ein Industrialisierungs-Regime, in der Sowjetunion und unter ganz ähnlichen Bedingungen in China, also eine Kombination von imperialer und Modernisierungs-Politik, die diese großen Reiche Rußland, China, vor dem Zerfall bewahrt hat.
Was ist davon übrig geblieben?
Fücks: Es hat sich in dieser Geschichte des Sozialismus niemals eine ernsthafte sozialökonomische Alternative zum Kapitalismus herausgebildet, das empfinde ich heute als das eigentliche Dilemma. Ich bin jetzt eine Woche in Polen und eine in der Sowjetunion gewesen und habe mich mit einem großen Spektrum von Menschen und politischen Positionen auseinandergesetzt. Diese Gesellschaften sind auch als Produktionsweise gescheitert. Die drückendste Erfahrung war, daß diese Gesellschaften sich in einer tiefen Zerfallskrise befinden, als Ausweg drängt sich der Mehrheit der Akteure die Zuflucht zu den Methoden und Institutionen der bürgerlichen Gesellschaften auf. Während ich immer suche, wo Elemente sind für einen dritten Weg ...
Du sagst „Dritter Weg“, nicht mehr Sozialismus. Das ist für Dich kein Wort mehr, mit dem Du über die Zukunft redest?
Fücks: Als Systembegriff ist er für mich zerfallen. Was bleibt, sind eine Reihe von Kritik-Punkten gegenüber dem realen Kapitalismus, und einige Grundorientierungen: egalitäre Ausrichtung von Politik, zum Beispiel kollektive Formen von Arbeiten und Leben anstelle individulisierter Konkurrenz. Für mich ist die ökonomische Kritik der grünen Bewegung sogar radikaler als die der Arbeiterbewegung: Es geht da nicht nur darum, die Eigentumsverhältnisse zu verändern und die Produktivkräfte freizusetzen, sondern eine qualitative Veränderung der Technologie und eine Selbstbeg renzung der Industrie-Gesellschaft durchzusetzen.
Mit welchen Mitteln?
Fücks: Es gibt keine sozioökomische Systemalternative zu benennen, nur Bruchstücke einer anderen Art von Produktion und Konsum. In der Praxis müssen wir immanent an einer Veränderung kapitalistischer Strukturen ansetzen, z.B. einer Ökologisierung des Steuersystems, oder durch reformerische gesetzliche Initiativen dieser Ökonomie Grenzen setzen. Aber wir sind nicht in der Lage, eine gesamtgesellschaftliche ökologische Alternative zu definieren. Mein Bild gesellschaftlicher Veränderung ist vielfältiger geworden, es gibt für mich nicht mehr den archimedischen Hebel-Punkt, sondern eine Vielzahl von Interventionen auf den gesellschaftlichen Prozeß, die in der Summe vielleicht eine Änderung der Entwicklungsrichtung ergeben.
Int. K.W.
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