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„Herr Senator, Sie haben keine Ahnung“

■ Gröpelinger drohen SPD mit dem Stimmzettel: Entweder verschwindet im Bremer Westen die Drogenszene oder die SPD aus der Regierungsszene

Bremens Innensenator Peter Sakuth und SPD-Fraktionschef Claus Dittbrenner haben seit Mittwochabend eine wichtige Verabredung zusätzlich in ihrem Terminkalender. In den nächsten Wochen wollen beide persönlich zugucken, wenn im Gröpelinger Lindenhofviertel am hellichten Tag und auf offener Straße Heroin verkauft wird. Auf einer Gröpelinger Einwohnerversammlung nahmen Dittbrenner und Sakuth jetzt spontan die Einladung einer Anwohnerin an, sich am Fenster ihrer guten Stube mal selbst davon zu überzeugen, wie prächtig rund um den Liegnitzplatz die Rauschgiftgeschäfte gehen. Sogar einen besonderen Tip

ihrer Gastgeberin wollen die beiden Politiker beherzigen und aus „Tarnungsgründen“ die gewohnten Nadelstreifen -Arbeitsanzüge im Schrank lassen und gegen unter GröpelingerInnen gängigeren Jeans und Hemdsärmel eintauschen: „Damit Sie mal eine Ahnung kriegen, was bei uns inzwischen los ist.“

Der Bremer Westen hat die Schnauze voll. Seit rund um den Liegnitzplatz nicht nur mit frischem Obst, kitschigem Porzellan und Video-Filmen, sondern auch mit Koks und Schnee gehandelt wird, wackelt die ehemals iyllische SPD-Hochburg bedenklich. Rund dreihundert GröpelingerInnen drängelten sich am Mitt

woch im Nachbarschaftshaus Ohlendorf. Viele, um ihrem „Nachbarn“ Sakuth und dem SPD-Fraktionschef endlich mal zu sagen, daß sie in Bremen lange genug regiert haben. „Jahrzehntelang hat die SPD hier unsere Stimmen kassiert.Während in der Innenstadt Millionen verbaut werden, kriegt Gröpelingen eine Spielhalle nach der anderen, eine Bar nach der anderen und jetzt auch noch die Drogenszene“, machte ein aufgebrachter Lehrer seiner Wut unter tosendem Applaus Luft. Seine Forderungen: Mehr Freizeitangebote für Jugendliche, Sanierung heruntergekommener Häuser, mehr Sozialarbeiter, mehr Spielplätze attraktive Kulturan

gebote für junge Familien.

Drastischer wurde ein anderer: „Wenn Sie die Larifari -Gesetze nicht ändern, müssen es nach den nächsten Wahlen eben die Republikaner tun.“ Kaum verhohlen plädierte ein dritter für die Todesstrafe für erwischte ausländische Rauschgiftdealer: „Sofort abgeschoben gehören die, aber vorher unbedingt in der Türkei anrufen, da werden die wenigstens endgültig aus dem Verkehr gezogen und nicht nach ein paar Stunden wieder laufen gelassen.“

Angst der Nachbarn

20 Minuten hatte Claus Dittbrenner zuvor vergeblich versucht, die gereizten Laune mit einer spröden Bilanz sozialdemokratischer Erfolge in Gröpelingen zu bessern und viel von „Neunachdenken- und Ernstnehmenmüssen“, vom „Nichtzurücklehnendürfen“ und „Gemeinsamlösungsuchensollen“, vom „Auchselbstbetroffensein“, geredet und schlankweg behauptet: Die Drogenhändler sind vor allem türkische Kurden. Reaktion auf Dittbrenners staatsmännische Aufzählung verkehrsberuhigter Straßen, neugeschaffener Kita-Plätze und aufgestellter Parkbänke: Gelächter, Endlich-Anfangen -Forderungen und Handeln-statt-Reden-Rufe.

Nur eine Minderheit im Saal wollte an diesem Abend noch etwas davon hören, daß Drogenhandel nicht allein von Polizeibeamten in den Griff zu bekommen ist und sich von einem Innensenator belehren lassen, daß auch mutmaßliche Dealer erst überführt werden müssen und auch dann noch ein Recht auf einen fairen

Prozeß haben. Ziemlich vergeblich. Stattdessen mußte Sakuth sich sagen lassen, daß er seine Polizeibeamten anscheinend weniger kennt als die Dealer. „Sonst wüßten Sie, wie frustriert die inzwischen sind. Bei uns werden täglich mehr Autos aufgebrochen, und wenn die Polizei eingreift, kommt der Innensenator und schmeißt wieder um, was seine Beamten geleistet haben,“ spielten mehrere empörte Anwohner auf die Freilassung eines angeblichen Drogenhändlers kurz nach seiner Verhaftung an.

Nur eine Minderheit mochte die „ganze Aufregung“ nicht so recht verstehen. „Jahre haben die gleichen Jugendlichen hier an den Ecken gestanden, ohne Arbeit und ohne Perspektive und mit der Flasche in der Hand, und keiner hat sich aufgeregt. Jetzt auf einmal, wo die die Droge wechseln, bricht die Panik aus.“ Nach der Veranstaltung hat eine junge Frau Angst. Ausnahmsweise mal nicht vor dem Nachhauseweg oder vor Drogenhändlern, sondern vor den Parolen „einiger meiner Nachbarn.“

K.S.

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