Polenmarkt: Umleitung in die BRD

■ Finanzsenator Meisner (SPD) will die polnischen Kleinhändler nach Westdeutschland loswerden / Bonn soll Zwangsumtausch für Polen zurücknehmen und damit Berlin „entlasten“ / Senatssprecherin: Meisners Vorschlag ist „nicht einhellige Senatsmeinung“

Der Zaun und das Zollrecht haben nichts genützt, auch nicht die Stempel in den Pässen - nicht mal die Müllberg-Politik mit dem Bartholdy-Park. Gestern startete nun Finanzsenator Meisner (SPD) einen neuen Vorstoß gegen „den illegalen Handel polnischer Touristen“. Er forderte die Bundesregierung auf, Berlin „durch eigene Initiativen zu unterstützen“. In einem Brief an Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) forderte Meisner, daß Bonn den am 1.Mai eingeführten „Devisennachweis“ wieder zurückzunehmen solle. Polen bekommen von der bundesdeutschen Botschaft in Warschau nur einen Sichtvermerk für die BRD, wenn sie Devisen in Höhe von 50 Mark pro Tag nachweisen können. Im Gegensatz dazu ist der Aufenthalt polnischer Touristen in West-Berlin aufgrund alliierter Bestimmungen bis zu 31 Tage ohne entsprechende Devisen möglich.

Wie Meisner weiter schreibt, solle die Aufhebung des Devisenzwangs „Berlin entlasten“. Wegen des Eintrittsgeldes zögen „viele Polen Berlin dem Bundesgebiet vor“. Meisner illustrierte seinen Waigel-Brief mit einer dramatischen Beschreibung des Andrangs an den Grenzkontrollstellen. Allein in der Woche vom 2. bis 8.Oktober hätten 60.000 Polen abgefertigt werden müssen, wovon mehr als 4.000 wieder abgewiesen worden wären.

Der Vorschlag des Finanzsenators ist doppelzüngig: einerseits fügt sich seine Argumentation in die bisherige Linie des Senats, die Abschaffung des Devisenzwangs einzuklagen. Andererseits paßt sie aber nicht so ganz zu Momper-Äußerungen, daß dort, wo die Grenzen offen sind, auch die „Reichtumsschwankungen“ verarbeitet werden müssten.

Wie Senatssprecherin Kiehle der taz sagte, sei der Meisner -Vorstoß „keine einhellige Senatsmeinung“. Persönlich begrüße sie die Forderung nach einer Öffnung der BRD-Grenze ohne Zwangsdevisen, bezweifle aber, ob dadurch die Attraktivität der Stadt für die Polen sinke. Für die sei doch gerade die Nähe Berlins zum Heimatland interessant. Reaktionen aus Bonn lägen noch nicht vor.

Auch Bernhard Pollok vom polnischen Sozialrat begrüßte die Forderung nach Abschaffung des Devisenzwangs, betonte aber, daß es von Seiten des Senats keinen Anlaß gebe, „gerade jetzt wieder einzuschreiten“. Es sei abzusehen, daß „die Lage auf dem Polenmarkt sich normalisiere“. Durch Preiserhöhungen und die enorme Inflation in Polen, lohne sich für viele Polen der Handel mit heimatlichen Gütern in Berlin kaum noch. Viele Produkte lägen „gerade noch 10 Prozent unter Westpreis“. Pollok vermutet, daß „der Zloty vielleicht schon im nächsten Jahr konvertierbar“ sei. Pollok: „Die sollen sich lieber über 60.000 Touristen freuen. Viele Polen kaufen doch auch hier ein“.

kotte