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Ab nach Gethsemane...?!?

Dieser Brief wurde der taz aus einem Rathauspapierkorb der AL zugespielt  ■ D O K U M E N T A T I O N

Liebe Spezi,

eigentlich wollte ich all dies ja zu einem Debattenbeitrag zum Stand der AL für die taz verarbeiten. Doch nach Köppl (taz vom 10.10.) und den ÖkosozialistInnen (taz vom 14.10.) haben die abgelehnt („Interessiert doch keinen mehr“).

Das Problem ist, daß es niemanden interessiert, wie es uns wirklich geht. Und daher kommt der Leidensdruck. Von Anfang an. Kaum regieren wir, und schon kommen die Hausbesetzer und schimpfen uns Verräter. Und alle Projekte wollen endlich die Planstelle (nur im Interesse der Betroffenen natürlich). Und danach die Übersiedler. Richtig loslegen hätte man können, Beton verhindern, Grünzonen, Bauernhöfe anlegen, Höfe entkernen, Flächen entsiegeln. So richtig in Ruhe die Stadt ökologisch umbauen. Und dann das. Alles voll! Nagel schreit bauen, und keiner hat mehr Argumente. Können denn Deutsche überhaupt als Flüchtlinge betrachtet werden? Und, wenn ja, müssen wir sie reinlassen - oder unsere Flüchtlingspolitik neu diskutieren? Ist diese noch ökologisch verträglich?

Oder das Deutsche Historische Museum. Kohl will es haben, Nagel auch („Gut für die Bauwirtschaft“) und Martiny führt die Feder („Ich bin irgendwie dagegen, aber es ist reizvoll“). Und wir haben gefightet. Bloß alle schimpfen auf uns. Kein Wort davon, daß wir mit „ökologischer Landwirtschaft seit den Bauernkriegen“ und multikulturellen „DeserteurInnen unter Karl dem Großen“ wenigstens noch die Konzeption mit beeinflußt haben. Fast hätte es sogar geklappt mit unserem ständigen Ausstellungssaal „Gleichgeschlechtliche Lebensformen im Kiez zur KarolingerInnenzeit“. Bloß Anke bekam dann wieder Bammel („Macht der Kohl nicht mit“). Momper will dafür jetzt Schirmherrschaft und Projektfinanzierung für ein offizielles Symposium zum Thema übernehmen. Aber der Schwulenbereich schmollt trotzdem. Auch weil Michaele Schreyer mit der Grünfläche für den Anbau im zentralen Bereich dafür nicht rausrücken wollte. Aber immerhin haben wir was erreicht.

Auch für die Frauen. Die wollten ihr eigenes Historisches Museum und kriegen es (siebeneinhalb Planstellen, drei ABM plus Schreibkräfte und Kinderbetreuung, bei versprochener Regelfinanzierung ab 1999). Alles haben wir erreicht, und keiner liebt uns.

Und jetzt stellt sich in der Partei auch noch die deutsche Frage. Oder zumindest die einer AL-Ost („Fahre morgen deswegen nach Jena“). Und damit die Museumsfrage nochmal. Weil, wenn sich die Wiedervereinigung durchsetzt, muß man die Museumskonzeption nochmal diskutieren. Und das heißt Streit und nochmals Streit. (Manchmal bin ich richtig froh, wenn ich drüben in einer dieser Kirchenversammlungen sitze. Die Lieder, die Kerzen und die Wärme.) Einige Bereiche wollen übrigens, daß der Delegiertenrat und die MVV künftig auch bei uns in Kirchen tagen. Sie verhandeln auch schon heimlich mit dem Bischof. Bloß die Haftungsfrage im Fall einer autonomen Besetzung ist noch ungeklärt. Weil wir nur durchsetzen konnten, daß die P-Abteilung der Staatsanwaltschaft bis 1999 quotiert wird und bis dahin Freiabos des 'Stachels‘ erhält, bin ich gestern sogar aus dem Mehringhof herausgeflogen!

Heimlich geht es auch im Koalitionsausschuß zu. Dort soll erwogen worden sein, das Gerücht einer Autobahnplanung durch den Tiergarten zu lancieren, um Protestangriffsfläche für die Daueropposition zu schaffen, damit die Stromtrasse endlich vorankommt und nicht Diepgen deswegen zurückgeholt wird. (Von der BI haben mich welche im Körnerladen mit einer Bolle-Plastiktüte erwischt und wollen den Fall jetzt vors nächste Kiezplenum bringen. Fehlte mir gerade noch...) Nicht einmal das offizielle Reisen macht mehr Spaß. Man muß im hintersten Winkel der Welt noch aufpassen, wem man zujubelt, selbst wenn man nicht im Pilotensessel fliegt. Andererseits wird man aber dort noch bejubelt.

Über all dies hatte ich knapp 600 Zeilen für die taz geschrieben, für die Debatten-Serie. Und das morgens um drei, nach all den kleinen Anfragen und Presseerklärungen, die ich auch erst ab 23 Uhr tippen konnte, weil die Problemjugendlichen, die unseren Stuck sanieren, so getrödelt und geschlampt haben. (Die Öko-Farbe deckt überhaupt nicht.) Ja und, als ich die Zeilen dann in den taz -Sazz geben wollte, meinte der Redakteur, sie lesen die Texte vorher. Und dann ließ er mich 30 Minuten stehen, weil die „Republikaner“ anriefen. Und dann sagte er ab.

Es macht keinen Spaß mehr. Grüße an die Land-WG, Dein Tom Filzer, MdA

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