: Die Welternährung am kalten Buffet
Zentrale Kundgebung der Bundesrepublik vor kalten und warmen Platten zum Welternährungstag 1989 / Im Festsaal des Hamburger Rathauses wurde des Hungers gedacht / Schuld ist die Überbevölkerung, die auch noch am Ozonloch knabbert ■ Aus dem Fleischtopf U.Scheub
Hamburg (taz) - Gebratene Negerlein wurden nicht serviert. Das war das einzige, was zwischen den Bohnengerichten, zwischen Tacos, Salsas und gefüllten Guaven und Papayas gerade noch gefehlt hätte. Im Land des real existierenden Zynismus wurde vorgestern der „Welternährungstag 1989“ mit einem ausladenden Buffet voll kolumbianischer Köstlichkeiten zelebriert. Mehrere Hundert geladene Honoratioren und Diplomaten stürzten sich gen Mittag begeistert an die Tische in der Hamburger Rathausdiele, um sich von landesüblich gewandeten Trachtenmädels Kakteenfrüchte servieren oder Schnäpse und exotische Fruchtsäfte ausschenken zu lassen. Mit Hunger in den eigenen Bäuchen ist des Hungers in der Welt schließlich nicht gut zu gedenken.
Die Veranstaltung im Rathaus zu Hamburg war die zentrale bundesrepublikanische Kundgebung zum Welternährungstag, der alljährlich von den Mitgliedsstaaten der Welternährungsorganisation FAO ausgerichtet wird und diesmal unter dem Motto „Ernährung und Umwelt“ stand. Ergo mußten die Honoratioren, bevor sie sich den Fleischtöpfen zuwandten, im Festsaal die Reden der geladenen Prominenz über sich ergehen lassen.
„500 Millionen Menschen leiden an Hunger, täglich“, mahnte Bürgermeister Henning Voscherau (SPD). Und: „Wir haben uns zugleich in dem Wissen versammelt, daß, global betrachtet, die Nahrungsmittelproduktion und die vorhandenen Lagervorräte ausreichen, um die gesamte Weltbevölkerung zu ernähren. In den Industrieländern stehen weit mehr Nahrungsmittel als erforderlich zur Verfügung.“ Siehe Rathausdiele.
Rüdiger Freiherr von Wechmar, ehemals bundesdeutscher Botschafter in London, nun FDP-Europaabgeordneter, hatte ebenfalls die Zahlen der FAO gelesen: „Jeden Tag sterben 30.000 Menschen - die meisten davon Kinder - an Hunger, an Unter- oder Fehlernährung. In wenig mehr als einem Monat sind das eine Million Tote. In fünf Jahren verhungern 60 Millionen Menschen. Das entspricht der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland.“
Und wer ist in den Augen dieses Vertreters des frei flottierenden Kapitalismus hauptsächlich schuld an den leeren Bäuchen? Die Überbevölkerung.
Wechmar berichtete von einem „Wettrennen zwischen Pflug und Storch“. Daß der Pflug nicht niemand pflügen kann, wenn der Bauer kein Land besitzt, weil die Großgrundbesitzer und die multinationalen Konzerne alles aufgekauft haben, davon weiß der Freiherr nichts zu berichten. Auch davon nicht, daß der Welthunger vor allem ein Produkt der Eigentumsverhältnisse und des ungleichen Tausches in der Weltwirtschaft ist. So fallen denn die Katastrophen weiter vom Himmel: „Nehmen wir einmal das Beispiel Afrika. Seine Bauern haben es ganz besonders schwer. Sie leben zu einem großen Teil in einer feindlichen Umwelt. Die Preise für ihre landwirtschaftlichen Produkte sinken, die Kosten für die Produktion steigen. Hinzu kommen Naturkatastrophen von einem für uns unvorstellbaren Ausmaß. Aussichtslosigkeit läßt die Bauern verzweifeln. Hunger, Epidemien, Unruhen, Stammesfehden, Kriege sind die Folge.“
Also müssen sich diese dummen Neger auch noch gegenseitig bekriegen. Welterzieher Wechmar sinnt auf Befriedigung: „Die Gleichung lautet: wirtschaftliche Stabilität gleich politische Stabilität gleich geopolitische Stabilität. Es wäre also durchaus unser deutscher, unser europäischer Vorteil, wenn die Landwirtschaft in der Dritten Welt mit unserer Hilfe so entwickelt werden könnte, daß sie die wachsende Bevölkerung selbst ernähren kann.“
Auch die zunehmenden Umweltprobleme machen dem Politiker ganz schön Sorgen: „Land, Seen und Meere sind durch Müll und toxische Abfälle verseucht. Das Waldsterben ist ein Menetekel. Das Ozonloch lebensbedrohend. Und alle diese beklagenswerten Entwicklungen sind von Menschenhand verursacht“ - wessen Hand, das verschwieg des Meisters Höflichkeit. Sind es also die gelbe Flut und die schwarzen Massen, die am Ozonloch nagen? „Unsere“ Regierung und das Europaparlament nehmen die Umweltfragen jedenfalls „sehr ernst“. Nichts als Vorbild sind sie für die Welt, die sich im Rahmen der Vereinten Nationen, ähnlich dem Umweltbundesamt oder der Europa-Agentur, doch auch mal eine Umweltagentur schaffen könnte. Warum so rückständig?
An Vorbildern mangelte es nicht an diesem Festtag. Unter dem historischen Ölbild im Festsaal - Hamburger Schiffe kehren, den Bauch prall gefüllt mit Kolonialwaren, zurück in ihren Heimathafen - wußte Jürgen Schrader, Geschäftsführer des deutschen Zweigs in Europas größten Agrobusiness-Konzern Unilever, den Beitrag der Hamburger Kaufmannschaft zur Welternährung zu würdigen: „Hamburgische Importeure haben im vergangenen Jahr für mehr als zwölf Milliarden Mark Ernährungsgüter in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt, einen großen Teil davon aus der Dritten Welt.“ Siehe Rathausdiele.
Gerade die Firma Unilever, Beherrscherin des weltweiten Pflanzenölmarktes, versteht sich gut darauf, wertvolle Proteine aus der Dritten Welt heraus- und als Futtermittel oder Öl in hiesige Schweinemägen und Kosmetiktöpfe hineinzubefördern.
Die einzige, die mit den ZuhörerInnen im Festsaal in Ansätzen Tacheles redete, war Helga Henselder-Barzel, Vorsitzende der Welthungerhilfe. Sie führte den Raubbau an der Natur auf die Genußsucht der Menschen in den Industriestaaten zurück und forderte eine weitreichende Umschuldung und „gezielte Umwelterhaltungsprogramme“. Höflicher Beifall.
In Gedanken weilten die Herrschaften wohl schon beim Buffet.
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