BEGRENZTE BLICKE

■ Stadtfotografie Berlin-Amsterdam im Haus am Kleistpark und in der NGBK

Auf Initiative der NGBK hin zeigen sich bis zum 19.November zwei Städte von ihrer fotografischen Seite: Berlin und Amsterdam. „Stadtfotografie“ heißt das Thema. Beim ästhetischen Vergleich gewinnt dabei eindeutig Amsterdam. Zum einen liegt dies an dem stereotypen Auswahlmodus der Arbeitsgruppe Fotografie in der NGBK, zum anderen an der sehr viel ausgereifteren Fotokultur in Amsterdam.

Die Konservatorin des Gemeentearchifs von Amsterdam, Anneke van Veen, wurde eingeladen, über das „Amsterdamer Modell“ zu berichten, das sich die NGBK für eine verstärkte Förderung der Fotografie in dieser Stadt zum Vorbild nehmen möchte. In Amsterdam nämlich werden seit 1971 jährlich fünf, in den letzten drei Jahren drei Fotografen von der Stadt beauftragt, einem Thema ihrer Wahl nachzugehen. Die Stadt möchte ihre eigene Entwicklung protokolliert sehen, wie die Veränderungen von Häusern, Straßen oder Plätzen und sie möchte Menschentypen porträtiert haben, wie sie sich in sozialen Zeremonien verschiedenster Art zeigen. Durch diese kontinuierlichen Werkaufträge, verbunden mit anschließenden Ausstellungen, hat sich ein hohes künstlerisches Niveau entwickelt. Davon zeugt die in den Räumen der NGBK gezeigte kleine Retrospektive der letzten zehn Jahre.

Im Haus am Kleistpark dagegen wird verkrampft eine Rundumerfassung von Berliner sozialpolitischen Ereignissen versucht. Zum Glück haben auch einige konzeptionelle Serien den Weg in die Ausstellung gefunden, hier wird die Fotografie als solche interessant. Insgesamt aber scheitert der Berlinteil der Ausstellung an inhaltlichen Klischees. Ohne Akzentsetzung wurde am Lennedreieck herumgeknipst, man findet die zu erwartenden Polizisten und Demonstranten. Aus dem Leben der Werktätigen gibt es das beliebte Thema der Schlachthöfe zu sehen, das Gruselige des Gefängnisalltags, das langweilige Zeitlupengeschehen einer Schulstunde sowie schließlich einen fröhlichen Kohlearbeiter bei der Arbeit und unter der Dusche. Dem „Szene„-Geschehen wird zu harmlos geglaubt, und so glänzt und funkelt es in dieser Ausstellung bunt daher. Auch Birgit Kleber beläßt vielen der von ihr porträtierten KünstlerInnen den Mythos, den sie von sich verbreiten möchten, da kommt es zu stumpfen Geradeaus -Blicken. Bei aller grafischen Raffinesse ihrer Aufnahmen zeigen nur wenige Dargestellte in der inszenierten Pose etwas von ihrer Person.

Als besonders ärgerlich fällt eine große Plakatwand zum Thema „Mißwahlen“ auf, die das Lüsterne der Angelegenheit ungebrochen weiterträgt, als sei sie eine Auftragsarbeit für den 'Stern‘. Eine Diaserie über Renovierungsaktivitäten von Hausbesetzern schließlich ist vor lauter gewollter Idylle schon unansehbar.

Gerhard Ullmann kommt beim Versuch über das Mißverhältnis von Kind und Haus im Märkischen Viertel zu perspektivischer Akrobatik, die den inhaltlichen Anspruch seiner Reportage nur in einem Fall sinnlich erfüllt: ein Kind im Einkaufswagen hat im Horizont die Welt der städtischen Apokalypse. Sachlich neutrale Fotoreportagen sind die Aufnahmen der „Berliner Notdächer“ von Sigurd Wendland; Thomas Winkelkotte dokumentiert verschiedene Studien einer Fassadenrenovierung an einem Haus in der Adalbertstraße; Ute und Bernd Eickemeyer zeigen die verschiedenen Gesichter der Wilmersdorfer Straße am Tage und am Abend.

Zur subjektiven Dokumentation könnte man Hans W. Mendes „Nachtbilder“ und die Arbeiten von Hanns Joosten zählen. An unüblichen Orten wie Parkplätzen und leeren Straßen gibt es bei Mende akkurat-spärliche Lichteinfälle, was zu Zeichnungen führt, die aus Stadt gemacht sind. Die Verwunderung entsteht durch die grafische Form, bröckelnde Mauern des Anhalter Bahnhofs vor einer Imbißbude... Hanns Joosten zeigt als „begrenzten Ort“ die Architektur des Olympiastadions und verweist mit der unheimlich anmutenden Symmetrie seiner Aufnahmen auf das steinerne Denken der Bauzeit. Die ästhetische Perfektion der Fotografie wird zur Beunruhigung.

Präzise in der Menschenbeobachtung ist die Serie „Paare im Konzert“ von Jürgen Junker-Rösch. Nie begegnen die Porträtierten dem direkten Blick der Kamera, die dicht herangeht und in der Entspanntheit der Momente wirklich das Eigene dieser Menschen findet.

Dorothea Müller-Niedner, Ulrich Rüger und Lothar M. Peters arbeiten konzeptionell, der fotografische Blick hebt die Welt aus den Angeln. Bei Dorothea Müller-Niedner liegt die Wasseroberfläche des Landwehrkanals schief, die Gegenstände

-Dreck, Flaschen, Schwäne - sind die Metaphern, in denen gesprochen wird, und doch sie selbst. Schwindelerregend wirkt das Panorama aus Fotos von Ulrich Rüger: „Es ist noch hell genug, um zu sehen, daß es dunkel wird.“ Türme, Geländer, Bahnschienen flirren, gerade noch wahrnehmbar zwischen Luft und Wasser, die sich selbständig gemacht haben.

Die Fotos von Lothar M. Peters „Menschen an Sehenswürdigkeiten“ bringen den Orientierungssinn durcheinander. Der Erdboden ist schräg, Umrisse flimmern, Details quellen auf. Ein unverkennbar individueller Akzent der übliche Blick wird aus den Angeln gehoben - findet sich auch in den Naturaufnahmen von Leslie Helwig. Das Havelufer bekommt hier eine symbolische Selbständigkeit, Schatten erheben sich aus den Rhythmen der Baumstämme und fliegen los...

Im Amsterdamer Teil der Ausstellung liegen inhaltliches und ästhetisch-formales Ausdrucksvermögen in einer gelungenen Balance. Das thematische Spektrum reicht von Innen- zu Außenansichten von Häusern, in der Milieuschilderung von der Drogenszene bis zur High Society. Dazwischen liegen thematisch die im Rathaus angestellten Beamten nebst ihren öden Büroräumen, Arbeiter in einer Waffenschmiede, Fußballer hinter den Kulissen, wiederum Künstlerporträts und schließlich Menschen im Theater. Als Stillebenserie wird die Zubereitung vom „Koscher Essen“ mit Erklärungen präsentiert.

Herausragend sind die „Innenansichten“ vom Museum des Amsterdamer Zoos und vom ehemaligen Schlachthof, fotografiert von Wijnando Deroo. Plakative Schwarz-Weiß -Fotos werden zu Panoramagemälden aus Wänden, Decken und Treppen. Überall liegen Spuren vergangenen Lebens und in den Putzlöchern eine angenehme luftschöpfende Freiheit.

Als Porträtfotografie sind die „Heroinbeschaffungsprostitution“ von Arnold Karskens sowie die Reihe „Die Schaubühne“ von Nick Sinclair sehr beeindruckend. Mit gegensätzlicher Herangehensweise Sinclair läßt alle seine Modelle vor uniformem Hintergrund frontal in die Kamera gucken, Karskens läßt die Porträtierten im Milieu - scheint sich eine Beziehung Modell -Fotograf unmittelbar in der Offenheit der dargestellten Gesichter mitzuteilen, als sprächen die Personen nun einen selbst an.

Um die Fotografie in Berlin anzuregen, vergibt die NGBK im nächsten Jahr erstmalig zwölf Werkverträge zum Thema „künstlerisch-dokumentarische Stadtfotografie“. Besonders Frauen seien aufgefordert, sich zu bewerben. Auch in dieser Doppelausstellung sind wieder viel zu wenig Künstlerinnen vertreten. Teilnahmeinfos bei der NGBK, Tempelhofer Ufer 22.

Sophia Ferdinand

Die Ausstellungen sind noch bis zum 19.November in der NGBK, Tempelhofer Ufer 22, und im Haus am Kleistpark, Grunewaldstraße 67, zu sehen. Öffnungszeiten: Di bis So: 11 bis 18Uhr, Mi: 11 bis 20Uhr.

Am Donnerstag, 9.November, findet um 19Uhr im Haus am Kleistpark eine Podiumsdiskussion zum Thema „Die unsichtbare Seite der Stadt und der blinde Fleck des Fotografen“ statt, Moderation Gerhard Ullmann.