: Dr. Brinkmann verdient zu viel
■ Fernsehunterhaltung: Was ist das? / Nachschlag zu den Münchner Medientagen
Vom fünften Rad am Wagen zum alles treibenden Motor - das ist die Geschichte der deutschen Fernsehunterhaltung. Stand und steht sie im Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten immer noch nach der Information und der Bildung, so ist - zumindest in den Köpfen der Produzenten - nur noch die Unterhaltung übriggeblieben. Aus der Information wird dann Infotainment (Information plus Entertainment), und ein vielseitiges Medium wird reduziert auf einen einzigen Satz: „Fernsehen ist Unterhaltung.“ Diese so einfache wie erschreckende Formulierung von Günther Rohrbach (Geschäftsführer der Bavariafilm) wurde auf dem Unterhaltungskongreß während der Münchner Medientage geradezu gebetsmühlenhaft wiederholt.
Was aber ist Unterhaltung im Fernsehen, was kann sie sein? Ist sie ein Amusement, das tödlich endet, oder ein Lebensmittel für die tägliche „Grundversorgung der Gefühle“, wie es Josef Göhlen (Leiter des Vorabendprogramms im ZDF) formulierte? Kunstvoll soll sie sein, geistreich und vor allem einträglich. Schon deshalb ist das Zwei-Klassen -Fernsehen nicht mehr fern: ein teuer produziertes für die sogenannten „happy few“ und ein Billigprogramm für den großen Rest. Es scheint, als habe das Medium Fernsehen mit dem Erwachsensein auch seine Experimentierfreude verloren. Schon jetzt werden viele Serien nach den Standards der industriellen Produktion erstellt, da muß die Serienhausfrau im Rüschenkragen die Blumen gießen, und der Garten sieht aus wie bei Fleurop.
Aber ab einer bestimmten Einkommensgrenze ist auch die Identifikation der Zuschauer mit den Serienhelden nur schwer möglich; selbst Doktor Brinkmann verdient schon zu viel. Und flugs haben die Programmverantwortlichen eine neue Serie aus der Taufe gehoben: Alle Tage Sonntag soll sie heißen und den Alltag einer Familie zeigen, bei der immer Freitag, der 13. ist. Damit will das ZDF einem Zuschauerschwund zuvorkommen, wie er bereits bei amerikanischen Serien zu beobachten ist. „Der Stern von Dallas ist am Sinken“, teilte dann auch David Jacobs (Producent von Falcon Crest und Dallas) via Satellit den versammelten Unterhaltungsmachern in München mit und kündigte trotzdem 75 weitere Folgen der Dauerserie an. Das Geheimrezept zur Rettung der Einschaltziffern heißt dort wie hier Rückschritt im Sinne von Wiederbelebung traditioneller Sendeformen und der Einsatz alter Stars in neuen Serien.
Unterhaltsam im Sinne von kurzweilig war einzig August Everding, der darauf hinwies, daß zur Unterhaltung Zeit gehöre und die Bereitschaft, sich zurückzulehnen und mitzuspielen. Daß das nicht immer so einfach ist, mußte der Generalintendant der Bayerischen Staatstheater in der Schlußrunde erfahren, als er auf einem Club 2-Sofa, eingeklemmt mit Thommy Gottschalk, nicht so recht zum Zuge kam. Zum Thema Zuschauerzahlen und Theaterbesucher überraschte er das Publikum mit der Feststellung: „Leere Kirchen spenden nicht weniger sakramentale Hilfe als volle.“ Nun mag es dem Kirchenmann vielleicht egal sein, vor wie vielen Menschen er seine Messe zelebriert - dem Showmaster dagegen macht es keinen Spaß, sich vor einem nur spärlich vorhandenen Publikum zu verausgaben.
Lag es an der mangelnden Zuhörerquote, daß auch der Unterhaltungskongreß so wenig unterhaltsam war? Das Ambroß -Seelos-Orchester riß niemanden so recht vom Hocker, und selbst Alf hatte größte Schwierigkeiten, die Moderation locker über den Bildschirm zu bringen. Spitze Finger sind eben steif, und genauso wurde bei diesem Kongreß die Unterhaltung behandelt. Symptomatisch für die deutsche Fernsehlandschaft breitete sich Langeweile und Gleichförmigkeit aus. Schade, denn für gute Unterhaltung gibt es wahrlich noch genug Bedarf. Sie ist in diesem Lande sogar eine echte Marktlücke.
Claudia Rittger
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