: REISE IM TEE
Nun ist endlich wieder Teekampagne. Gerade rechtzeitig, denn der Tee ist wieder mal aus. Im Küchenschrank. Die letzten Tage fiel das nicht so sehr ins Gewicht. Denn B. hatte die neue Eduscho-Espressomaschine von seiner letzten Köln-Reise mitgebracht. Diabolo nuovo, 99 DM incl., aber ohne Milchkännchen für den tatsächlich druckvollen Schaumarm des Geräts. Komplettiert durch den Viertel-Liter-Edelstahl -Becher mit wärmeisoliertem Stielgriff aus der Gastronomie -Profiabteilung der „Metro“ (17,94 DM), spielen wir nun täglich Italien. Wo man als Italienerin doch nur bis zum Mittag Cappuchino und danach Espresso trinkt - wie mir eine hiesige Kulturredakteurin landeskundig erklärte. Auf jeden Fall ganz selten Tee. Und wenn, dann wohl eher in Teebeutelkultur.
Doch was ist ein Teebeutel gegen einen First Flush Finest Tippy Golden Flowery Orange Pekoe Darjeeling Ernte 1989 (FTGFOP1) zum sensationellen Preis von 33 DM im Falle der Kiloabnahme? Noch dazu bei einem gastritischen Kaffeeloch im Magen, Karies zwischen den Zähnen und erhöhtem Milcheiweißspiegel im Restkörper. Nicht zu reden von den leeren Espressobüchsen, die sich im Weidenkorb an der Haustür stapeln, weil mal wieder keiner am Metallrecycling -Container entsorgen geht; oder ferner noch, dem Zusammenbruch des Kaffeeweltmarktpreises mit seinen verheerenden Auswirkungen auf die Länder der Dritten Welt im allgemeinen. Und gänzlich abgesehen von der sicherlich nicht gerade philantropischen Einstellung des Eduscho-Managements zum Existenzmodus der Kaffeeproduzenten im besonderen. Gründe genug, Teekampagne zu kaufen.
Aber wo? In der sich einschlägig wähnenden Tageszeitung findet sich keine Werbung der Kampagne mit Händlernachweis. Mein Gedächtnis stochert in der Erinnerung herum und findet C., die im vorigen Jahr diesen Tee besorgt hat. Dann M., die ihre Mutter in Ostfriesland damit rührig zum 63. Geburtstag bedachte. Und schließlich zwei eigene Bilder inmitten meiner Partialamnesie. Erstens: In einer Buchhandlung im Süden der Stadt bestellt ein Kunde Nadolnys Entdeckung der Langsamkeit sowie 500 Gramm Tee und zahlt mit Euroscheck; zweitens: Ich rüttele ungläubig an der mittagspausenverschlossenen Glastür von „Alternativ Tours“ in der Wilmersdorfer Straße, weil auch im letzten Jahr der Tee schon einmal alle war.
Heute ist es aber zehn Minuten vor 17 Uhr. Das „Alternativ Tours„-Reisebüro hat geöffnet. Ein handgemaltes Schild inmitten bunter Weltkarten und prächtiger Prospektständer gibt Auskunft über gestaffelten Mengenrabatt von 250 bis 1.000 Gramm. Also gibt es vielleicht auch Tee. Wär‘ ja nur eine Frage.
Die kann aber nicht gestellt werden. Von den vier Verkaufsberatungsschreibtischen sind zwei unbesetzt, die anderen beiden doppelt: sachverständige Touristendialoge zwischen Urlaubsmakler und KundIn. Die Frau auf dem rechten Kundenhocker hat offensichtlich gerade Katmandu abgeschlossen. Der Kunde auf dem linken Hocker ist Goa -Verbindungsspezialist. Da kann ich nicht einfach mit dem Tee dazwischenplatschen.
Sie will gerade wissen, wie das Wetter denn um diese Jahreszeit in Katmandu ist, wegen der Kleidung. Dunkelblaue Strumpfhosen stecken in Knöchelstiefeln, wadenlanger Rock mit Glockenfalterabschluß, Pfeffer-und-Salz-Mantel mit aufgelegtem schwarzen Häkeltuch über allem. Ihr Gegenüber, Franzose, gutaussehend, freundlich, aufgeschlossen, lehnt sich in seinen Chromdienstsessel zurück, stützt den Arm auf die Lehne, Mittel- und Zeigefinger fein an der Schläfe: „So kalt wie hier, nein, nicht um diese Jahreszeit. Sie fliegen im November. Nicht um diese Jahreszeit, da ist es nicht so kalt. Nicht.“
Der auf dem linken Hocker hat es sich inzwischen etwas bequemer gemacht. Recht gelenkig für sein Alter. Rechter Knöchel über dem linken Knie. Ziemlich kurzer Socken zwischen Dauerhaltbarkeitsschuhen (Marke negativer Sturz, vorne höher als hinten), nacktem Bein und Cordhose. Darüber Schimanskijacke, hellgrau, und farblich abgestimmtes Haupthaar, weißgrau. So ein Joachim-Klein-Typ, um mal irgendeinen Namen zu sagen, der sich das ganze Jahr nicht vorgedrängelt hat, wenn es darum ging, die gemeinsam verursachte Kneipenzeche zu zahlen. Und der deshalb jetzt nach Goa fliegen kann - oder muß. „Also ich bin da anderer Meinung. Wenn ich die Nachmittagsmaschine nach Delhi nehme, muß ich in Athen nicht zwischenlanden. Der Anschluß nach Bombay war damals auch pünktlich, nur zwei Stunden“, erklärt er dem ordentlich gebürsteten Punk-Mekki über dessen Schreibtisch.
Der rappelt sich aus der bequemen Rückenlehnlage der bewegungs-logistischen Konfrontation entgegen und kontert mit Bombay via Rom, via Damaskus - und 130 Mark gespart. Ich zeichne die Flugroute im Kopf nach und beginne zu vergessen, warum ich eigentlich hier bin.
Die Kundin auf dem rechten Hocker hat sich inzwischen vom Ziel ihrer Wünsche der Startposition genähert. Der Franzose erläutert: „Der Transitbus kostet sieben Mark nach Schönefeld.“ - „Und die Haltestellen?“ - „Haltestellen nicht, die gibt es nur in Rudow.“ - „Nein, da wohn‘ ich aber nicht.“ - „Sonst ist das auch oft am Zoo, aber nein, diesmal nicht, sondern am Busbahnhof.“ Der Busbahnhof am Funkturm. Dieser Ort absoluter kosmopolitischer Tristesse. Der einem nahelegt, daß es woanders nur noch besser werden kann. Oder daß der Reiseentschluß wieder einmal grundfalsch war. Von Anfang an. Ich lasse mich auf einen noch freien Hocker fallen und greife nach dem Vierfarbprospekt von Unger -Flugreisen. Zwei bis drei Telefone läuten ununterbrochen, ohne daß das jemand zu hören oder stören scheint. Schließlich verreist man nicht per Fernruf.
Der Goaspezialist hält sich inzwischen im heimischen Luftraum auf, genauer gesagt in Preisrelationsbetrachtung zwischen Nah- und Fernflügen: „Das ist schon ein Ding, daß die kleine Strecke Berlin-Frankfurt ein gutes Viertel von Frankfurt-Bombay kostet.“ Darauf sein Gegenüber: „Und wenn Sie sich jetzt mal überlegen, daß Sie mit Berlin-München -Berlin regulär fast schon nach USA kommen, wird das gänzlich verrückt.“ Während sie sich nun in die Ursachenerforschung der Monopolpreisgestaltung bei vorgeblicher Konkurrenz katapultieren, kann die Frau auf dem rechten Kundenhocker immer noch nicht fassen, daß sie demnächst in Katmandu sein wird. „Ist das jetzt alles, oder muß ich noch was ausfüllen?“ Den Gedanken, daß sie vielleicht aus der kleineren Resthälfte des ehemals Großdeutschen Reichs kommt, verwerfe ich, da sie ja über Schönefeld fliegen will. Schließlich schüttelt sie dem Franzosen noch die Hand, was der mit einem artigen „Bon voyage“ quittiert.
Sein nächster Kunde, der vor mir, Ende 40, viel gearbeitet, zeichnet sich durch eine unauffällige Kaufhausbekleidung aus. Das ganze Zeug, was an diesem Körper hängt, hat wohl kaum ein Viertel dessen gekostet, was jetzt in ein Flugticket investiert werden soll. „Also ich bin mir noch nicht ganz so sicher, ob ich nach Thailand oder nach Singapur fliegen soll“, täuscht er sein Gespräch an. „Ich wollt‘ da mal fragen, wie die Verbindungen von Bangkok nach Patani sind. Und was das wohl kosten wird.“ Ich denke, daß mir das hinterher wieder keiner glauben wird, und vertiefe mich in meinen Unger-Vierfarbprospekt. Finde La Palma, Kanarische Inseln und denke an A., 36, die sich im nächsten Monat bei Puerto Naos ihren Altersruhesitz kaufen will. Prompt finde ich auch Puerto Naos im Angebot - Bungalow, ruhige Lage, inmitten von Bananen, für Individualisten, unbedingt Taschenlampe mitnehmen, etwas abseits gelegen, deshalb Mietwagen im Pauschalpreis inbegriffen, Opel Corsa. Sicherlich ohne Katalysator. Sonst stände das ja da. Mir fallen die Schadstoffe ein. Im vorigen Jahr war auf der Rückseite der Teekampagnentüten in eindrucksvoller Weise das Unterschreiten giftiger Rückstandsgrenzwerte dokumentiert.
Der Bangkokflieger hat inzwischen Gesellschaft von einem Kumpel gekriegt, der ihn mit einem Schulterschlag zur Begrüßung fast vom Hocker haut. Er hält sich jedoch und stellt seinen Glanzlederjackenfreund (braun) vor: „Na, da kommt ja der eigentliche Spezialist.“ Darauf der: „Wo seid ihr denn?“ Während jetzt Bangkok mit Hilfe von Hotelnamen neu geordnet wird, wiederholt sich bei mir im Kopf vollkommen idiotisch der Begriff: „Kolonialwarenladen“.
Derart auf meinem Hocker debilisiert, bekomme ich kaum noch mit, daß die beiden Bumsflieger jetzt soweit sind, daß sie sich das alles noch einmal überlegen müssen. Ich verlasse mein Sitzmöbel und erkundige mich mit zitternder, aber undeutlicher Stimme: „Haben Sie Darjeeling?“
„Über Delhi oder Bombay?“, fragt der Franzose freundlich.
„Nein, nicht Delhi und nein Bombay. Ich hätte gern zwei Kilo.“
„Ach Tee. Sie meinen Tee.“
„Ja genau, Tee. Den meine ich.“
Ich hatte Glück. Er war noch nicht ausgebucht. Mein Tee.
A.Modern
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