Carmel McCourt oder: Es war einfach zu nett

■ Eine große Erwartung und eine große Enttäuschung

Die englische Sängerin Carmel McCourt ist ein Bremer Dauer -Brenner. Keines ihrer zahlreichen Konzerte bisher gesehen zu haben, offenbart schon fast eine populärmusikalische Bildungslücke. Unser aller Popsender jubelt schon seit Wochen dem diesjährigen Auftritt entgegen. Groß also die Erwartungen, nicht zuletzt bei mir, denn ich gehöre - das sei hier bekannt - zu denen, die bisher keine Gelegenheit hatten, dem Charme der Miss McCourt zu erliegen.

Groß auch die Kulisse im Modernes. Das Publikum, voll, aber nicht gestopft, scheint dem Anspruch der Künstlerin angepaßt: der gediegene Teil der Szene ist versammelt, viele junge Männer im modischen Sakko, viele Girls mit kunstvoll gedrechselten Haaren wie auch CARMEL. Nur in der Rocklänge hatten sich so manche geirrt: der der Sängerin rafft sich knapp unterhalb der Knie, schwarz, versteht sich.

Und groß schließlich der Aufmarsch auf der Bühne: Vier Bläser, Sänger und Sängerin, Percussionist und Keyboarder umrahmen die eher schmale Stammbesetzung von Carmel (Jim Paris, b, und Greg Darby, dr) und verstecken sich zum Teil hinter den Boxen. Die Begeisterung? Groß, sehr groß, von den ersten Sekunden an, wie immer, wenn Angehörige der gemeinsamen Gattung der „Fans“ in Massen auftreten um zu huldigen.

Nicht, daß es nicht nett war. Carmel war nett, die Leute waren nett, und es gab kalte Getränke. Die Musik war auch nett. Oder anders gesagt: Es war auf eine so enttäuschende Weise unspektakulär, daß ich nach wenigen Minuten in kalter Wut beschloß, die 29 Mark Eintrittsgeld einem ge

meinnützigen Verein zu spenden. Mit ihrem Riesenaufgebot an Soundmachern im Rücken produzierte Carmel nicht mehr als hübsche, angejazzte Popmusik, opulent arrangiert, perkussiv und tanzbar, beliebig und belanglos.

Ihre Musik ist Zitatenschatz. Am auffälligsten bedient sie sich bei den frühen Soul-Frauen, in den schwärzesten Momenten schimmert durchaus mal die treibende Dynamik einer Aretha Franklin durch. In den jazzbetonten Parts hält sie sich mehr an lateinamerikanische Vorbilder: Vokal-und Bläsersätze phrasieren meist Standard-Motive, gefällig und zahm, europäisch trotz aller in die Beine gehenden Percussion. Überzeugend waren am Sonnabend nur die Balladen: Mit dem fast mystischen „Waterfall“ und vor allem dem wehmütigen „Circles“, in dem sie stimmlich mit einem gedehnten, lautmalerischen Fade Out bestach, gelang es ihr, sich stilistisch von ihren Leitfiguren zu lösen.

Die Band gerierte zurückhaltend, die Arrangements boten auch live erstaunlich wenig Raum für solistische Ausflüge, auch die „Ur-Carmeliter“ Paris und Darby fügten sich unauffällig. Die Sängerin Carmel mag trotz vieler gespreizter Posen am Bühnenrand überzeugen, ihre klare, helle Stimme entwickelt zumindest live in ruhigen Passagen die nötige Spannkraft. Macht die Band Druck, braucht sie deutlich die Unterstützung ihrer beiden Hilfssänger.

Am liebsten hätte ich das Konzert durch einen Hinterausgang verlassen: Zwischen all den vor Begeisterung strahlenden Fans muß ein gelangweiltes Gesicht richtig unanständig gewirkt haben.

Rainer Köster