: Offene Darstellung des Falschen-betr.: "Schaum, vielleicht Abschaum", taz vom 16.10.89
betr.: „Schaum, vielleicht Abschaum“, taz vom 16.10.89
Die Menschen sind heute bis in ihre Psyche so sozialisiert, daß sie sich funktional auch in ihrer Freizeit unter die Kapitalverwertung widerstandslos einordnen lassen.
Kuby stellt deshalb richtig fest, daß unsere Kultur, so weit sie sich in der Masse der Bücher für uns reduzierterMenschen manifestiert, bedeutungslos für das reale Leben ist - ausgenommen als ständig wechselnde ideologische Vernebelung. Indem er aber das Leben im falschen Ganzen als Maßstab nimmt, lediglich zwischen notwendigen naturwissenschaftlichen und überflüssigen Büchern mit kulturellem Inhalt, wie die Belletristik ihn hat, unterscheidet, stellt er nur zynisch fest, zu was Kultur gemacht wurde. Sein Zynismus will nicht anklagen oder gar aufrüttelln: Er reißt die Blumen von der Kette, um diese Kette akzeptabler zu machen.
Zu Recht zählt Kuby seine Schreibe selbst zum „Abschaum“. „Dallas“ als journalistisches Prinzip. Die offene Darstellung des Falschen, das er „intakte Zivilisation“ nennt, ist die beste Methode, den Menschen auch noch das Bewußtsein davon zu nehmen, daß es ein besseres Leben geben könnte. Deshalb muß er den „Schaum“ der Gesellschaft, in der splitterhaft noch eine andere Kultur aufscheint, populistisch denunzieren. Kuby hat nichts aus der faschistischen Verunglimpfung der „Asphaltliteraten“ und „Intelligenzbesteien“ gelernt, denn seine pauschale Abqualifizierung der Kultur treibt auch den Teil aus, von dem wengistens der Gedanke eines guten Lebens kommen könnte, wie zum Beispiel die geistige Tradition oder die Literatur, die ästhetisch und inhaltlich auf der Höhe der heutigen MÖglichkeiten ist.
Wenn man allerdings bedenkt, daß in der BRD nur wenige Leute die Hegelsche „Logik“ und zugleich die Musik von Schöneberg verstehen, dann ist dieser Teil nur eine Blase auf dem „Schaum“ derjenigen, die an der wahren Kultur Anteil haben möchten, und ein Nichts gegenüber der idiotischen Massenkultur.
Bodo Gaßmann, Herausgeber der „Erinnyen - Zeitschrift für materialistische Ethik“
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