: Fichter contra Kuby-betr.: "Fragen an Erich Kuby", taz vom 12.10.89, und "Gegen bodenlose Unkenntnis", taz vom 13.10.89
betr.: „Fragen an Erich Kuby“, taz vom 12.10.89, und „Gegen bodenlose Unkenntnis“,
taz vom 13.10.89
Die Fragen von Tilman Fichter an Erich Kuby dürfen gestellt werden; denn der 'Ruf‘ war eine der wichtigsten Nachkriegszeitschriften. Das literarische und politische Potential, das Hans Werner Richter und Alfred Andersch damals zu mobilisieren vermochten, war einmalig. Kuby, der sich fast immer überschätzt, hat das nicht gekonnt. Er ist nicht derjenige, der zu integrieren und das komplizierte Gebilde einer Zeitschrift aufrecht zu erhalten vermag. Zu dieser Frage hätte ich gern etwas von ihm in seiner Antwort gehört.
Doch Erich Kuby hat in der Restaurationsphase der Bundesrepublik eine wichtige Rolle gespielt. Daran will ich erinnern, obwohl ich heute wie früher etwas gegen Kubys Frontstellung gegenüber unabhängigen sozialistischen Positionen in der Bundesrepublik habe, gegenüber „sozialistischen Idealen“, die „unübersetzbar in politisches Handeln“ seien (so Erich Kuby noch heute gegen Hans Werner Richter und Alfred Andersch). Ich will an folgendes erinnern:
1. Kuby hat (finanziert durch die IG Metall) 1958 an deutschen Universitäten den öffentlichen Disput mit Willi S.Schlamm gesucht und dabei Äußerungen dieses kalten Kriegers (der heute nur mit Schönhuber zu vergleichen wäre) so aufgespießt, daß Schlamm politisch unmöglich wurde.
2. Er hat auf dem Anti-Atomkongreß der damaligen studentischen Anti-Atombewegung in Berlin Anfang 1959 eine wichtige Rolle gespielt. Er hat zwischen der vom SDS vertretenen Forderung nach einer „Transförderung“ (Erich Küchenhoff) zwischen der Bundesrepublik und der DDR und der damals von der DDR vertretenen Formel einer „Konföderation“ beider deutscher Staaten vermittelt. Der Begriff einer „interemistischen Konföderation“ in der aufsehenerregenden Resolution dieses Kongresses stammt von ihm.
3. Kuby war wesentlich am Zustandekommen des 'Spiegel' -Artikels vom 5.4.1961 gegen Franz Josef Strauß beteiligt, in dem es heißt: „Ob die CDU oder die SPD künftig Wahlen gewinnen wird, ist nicht mehr so von Belang. Wichtig erscheint allein, ob Franz Josef Strauß ein Stück weiter auf jenes Amt zumarschieren kann, das er ohne Krieg und Umsturz schwerlicher wieder verlassen müßte.“
4. Kuby ist am Anfang der sechziger Jahre für den SDS eingetreten und hat dazu beigetragen, die politische Praxis dieses Verbandes aus der Zone des Verschweigens durch bundesdeutsche Medien herauszubringen. Er gehört zu den wenigen, die die Bedeutung der Kursänderung in der SPD im Sommer 1960 in ihren Gefahren (große Koalition) richtig erkannt hat. Sein Beitrag „Unsere Verteidigung der Freiheit kostet uns Frieden und Freiheit“ (Werkhefte katholischer Laien, 12/1960, 1/1961) ist ein wichtiges Dokument aus der damaligen Restaurationszeit.
5. Vergessen sollte man auch nicht, daß Erich Kuby sich nicht scheute, 1978 auf dem Russell-Tribunal gegen die Verletzung von Menschenrechten in der Bundesrepublik aufzutreten.
Kubys Kommentar gegen die „Gorbi„-Begeisterung in der Bundesrepublik kann ich nicht folgen. Wenn er sich jetzt auf Bahr beruft, ist das etwas anderes. Zu fragen ist jedoch, ob es zwischen der Parole „Wiedervereinigung“ und dem Immobilismus einer „Status-quo-Politik“ nicht Zwischenpositionen gibt. Die Formel von 1959 „interemistische Konföderation“ könnte eine Richtung weisen. Zu einem europäischen Haus gehört eine Konföderation beider deutschen Staaten (die langfristig weitere Gemeinsamkeiten nicht ausschließt und gewachsene unterschiedliche Strukturen garantiert). Das hat nichts zu tun mit „Neutralismus“.
Prof.Dr.Jürgen Seifert, Hannover
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