piwik no script img

Die kritischen Polizisten und der 129a

Das „andere Promille“ der bundesdeutschen Polizei diskutierte den Staatsschutz-Paragraphen / Die Abschaffung aller Sonderhaftbedingungen und Rückkehr zum Normalvollzug verlangt / Arbeitstagung in Stuttgart mit geringer Beteiligung aus dem Ländle  ■  Von Uwe Rosentreter

Stuttgart (taz) - Es begann so richtig gemütlich. Robert Jungk hielt die Gastrede und bauchpinselte die „kritischen PolizistInnen“ als „kleine Gruppe, von der große Veränderungen ausgehen können“. Sie selbst bezeichnen sich als das kritische Promille unter den PolizistInnen: Knapp 200 von über 200.000 Polizeiangehörigen bundesweit sind in der Bundesarbeitsgemeinschaft „Kritische Polizistinnen und Polizisten“ organisiert, 35 trafen sich zum vierten Arbeitstreffen in Stuttgart am vergangenen Wochenende. In Stuttgart (nicht weit von Stammheim), weil die Tagungsorte stets mit dem Thema (diesmal: „Das politische Strafrecht Anfang vom Ende der bürgerlichen Freiheitsrechte?“) zu tun haben sollen und weil Baden-Württemberg neben Bremen das einzige Bundesland ist, in dem die „Kritischen“ noch nicht landesweit organisiert sind. Nun, auch vom nahen Tagungsort ließen sich die PolizistInnen im Ländle kaum motivieren: ganze zwei nahmen an dem Treffen teil.

Einer der beiden war meistgefragter Teilnehmer in der Arbeitsgruppe zum polizeilichen Staatsschutz, denn bis vor kurzem war das noch sein Job gewesen. Aufgehört hat er, weil „das dort nicht so ging, wie ich mir das vorgestellt hatte ich wollte hauptsächlich gegen Rechts arbeiten“. Dann gab er sich zugeknöpft, so daß auch in dieser Arbeitsgruppe nur mit öffentlich zugänglichem Material gearbeitet wurde. Die Feststellung, daß auch KollegInnen, die nicht unbedingt rechts stünden, gern beim Staatsschutz arbeiten, weil dieser Bereich personell bestens ausgestattet ist und Geld keine Rolle spielt, hinderte nicht, die Auflösung des Staatsschutzes zu verlangen. Insbesondere weil sich nach Realisierung der geplanten Gesetzesänderungen der polizeiliche Staatsschutz immer mehr mit dem Verfassungsschutz vermische.

Aus dem Referat von Reiner Wolf, Richter am Amtsgericht Stuttgart, zu den Normen des „politischen Strafrechts“ entwickelte sich die Forderung nach Abschaffung der politischen Paragraphen 129 und 129a StGB. Einig mit zahlreichen Bürgerrechtsorganisationen stellten die „Kritischen“ fest, daß diese Paragraphen zur Verfolgung von Straftaten nicht notwendig seien, weshalb auch die Anwendung gegen „rechts“ abzulehnen sei. In der Praxis des politischen Strafrechts diene insbesondere Paragraph 129a in erster Linie zu ausgedehnter Ermittlungstätigkeit und Gesinnungsstrafrecht. Immer wieder erfasse der Paragraph unbeteiligte Bürger, und wenn diese „auch nichts zu verbergen hätten“, so gehe es doch darum, daß wir alle ein Recht darauf haben, uns zu äußern, ohne daß der Staat gleich auf der Matte steht, so Manfred Mahr. Neben der Abschaffung des Paragraphen 129a unterstützen die „kritischen PolizistInnen“ auch die Bemühungen, das Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten aus Paragraph 53 Strafprozeßordnung auch auf selbstrecherchiertes Material auszudehnen und nicht auf Informantenschutz allein zu beschränken.

Am meisten zu knabbern hatten die, die sich mit den Haftbedingungen der RAF-Gefangenen beschäftigten. Statt der angekündigten Schwester von Eva Haule, Brigitte Kiener, informierte Rose Glaser, grüne Strafvollzugsbeauftragte, über die Verhältnisse. Verhältnisse, wie sie sich die PolizistInnen nicht hatten vorstellen können, so daß die Forderung nach Abschaffung aller Sonderhaftbedingungen und einer Rückkehr zum Normalvollzug nur logisch war. Am Kommen gehindert hatte Brigitte Kiener übrigens zum einen, daß wenige Tage zuvor die CDU-regierten Länder die Zusammenlegung (endgültig) abgelehnt hatten, und zum anderen folgende Einschätzung aus der Mehrheit von RAF-Häftlingen und deren Angehörigen: „Was machen die kritischen Polizisten, wenn ihnen der Knüppel- und Tränengas-Einsatz befohlen wird. Dann knüppeln und gasen sie kritisch.“ Dazu die Getroffenen: „Zentrale Aufgabe der BAG ist die Auseinandersetzung mit genau diesem Widerspruch.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen