: Demonstranten im 'Neuen Deutschland‘
Am 10. Oktober, kurz nach den Demonstrationen, schreibt das 'Neue Deutschland‘ ('ND‘): „Die Provokation war von langer Hand vorbereitet. Westberliner Rundfunk- und Fernsehstationen haben sich dabei hervorgetan. Auch schickte man Hetzballons mit Flugblättern wie in den Hochtagen des kalten Krieges.“ Das 'ND‘ zitiert aus dem Kommentar der 'BZ am Abend‘: „Gut, daß denen deutlich eine Grenze gezeigt wurde. Wer vorgibt, mehr Verantwortung wahrnehmen zu wollen in einer Gesellschaft, stürzt sich und andere nicht so verantwortungslos in Randale.“ Von den Knüppelorgien der Polizei keine Zeile.
Erst acht Tage später, am Tage der Ablösung Honeckers, erfahren die 'ND'-LeserInnen indirekt etwas darüber. In einem nachgedruckten Interview mit dem DDR-Fernsehen wird Generalstaatsanwalt Günter Wendland gefragt: „Sowohl in der Gethsemanekirche, in der Erlöserkirche als auch anderorts wurden Augenzeugenberichte verlesen, daß solche Personen (gemeint sind Demonstranten, d.Red.) von der Polizei mißhandelt wurden. Was wisen Sie davon, und werden Sie den Berichten nachgehen?“ Wendland beteuert: „Anzeigen, die Bürger erstatten, werden nachgeprüft“, betont aber: „Wir dulden keine Verleumdung, weder eines Bürgers noch eines Staatsorgans.“ Die Gewalt, führt er weiter aus, „ging nicht von der Polizei aus, die Gewalt richtete sich gegen die Polizei“.
Einen Schritt weiter ging 'ND‘ dann am 21. Oktober, in einem Bericht über ein Gespräch mit dem stellvertretenden Berliner Polizeipräsident Dietze und dem Stellvertreter des Berliner Generalstaatsanwaltes, Klaus Voß. Beide blieben zwar dabei, das Vorgehen der Polizei habe den gesetzlichen Bestimmungen entsprochen und „die Handlungen einer Reihe von Personen hätten Tatbeständen des Rowdytums beziehungsweise der Zusammenrottung entsprochen“. Halbherzig räumte Dietze aber ein, daß „Anzeigen, Hinweisen, Informationen und Eingaben - gegenwärtig lägen dem Präsidium 60 Eingaben oder Beschwerden vor - gründlich nachgegangen werde. Staatsanwalt Voß versicherte gleichlautend, „wenn sich ein Verdacht auf eine Starftat ergibt, wird der dafür Verantwortliche auch zur Verantwortung gezogen“.
Im gleichen Maße werde auch veranlaßt, unbeteiligten Personen zugefügte Schäden nach den geltenden Rechtsvorschriften unverzüglich wiedergutzumachen. Zwei Wochen nach den Ostberliner Demonstrationen ist von einer Inszenierung der Proteste durch westliche Berichterstatter nicht mehr die Rede.
Wolfgang Gast
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen