Paragraph 218: Kassen wollen nicht zahlen

Trotz eindeutiger Rechtslage bezahlen zwei landwirtschaftliche Krankenkassen keine Schwangerschaftsabbrüche nach sozialer Indikation / Stuttgarter Sozialministerium meint, nicht einschreiten zu können / Erst müßten einzelne Frauen klagen  ■  Von Helga Lukoschat

Berlin (taz) - Die Weigerung von drei Krankenkassen im süddeutschen Raum, Abbrüche nach der sozialen Indikation zu bezahlen, ist rechtswidrig - so die Bundesregierung in ihrer jüngst veröffentlichten Anwort auf eine Anfrage des FDP -Bundestagsabgeordneten Gerhard Baum. Doch das Votum von höchster Stelle nützt den betroffenen Frauen, die bei der badischen oder unterfränkischen Landwirtschaftskasse versichert sind, vorerst herzlich wenig. In Bayern wie in Baden-Württemberg lassen die Sozialministerien die Kassen gewähren. Die dritte im Bunde - die Betriebskasse der Mattthias Hohner AG - zog ihren Beschluß, nicht zu zahlen, inzwischen zurück. In Stuttgart erklärte ein Sprecher des Ministeriums zwar, man „stimme mit der Rechtsauffassung der Bundesregierung vollkommen überein“. Und noch vor ein paar Monaten hatte Sozialministerin Barbara Schäfer (CDU) auch einen Verpflichtungsbescheid gegen die Kasse erwogen. Doch dann erfolgte der Rückzieher, für den eine komplizierte rechtliche Begründung gefunden wurde. Das Ministerium beruft sich dabei auf zwei Urteile des Bundessozialgerichts. Danach hätte die zuständige Aufsichtbehörde zu berücksichtigen, daß die Gerichte berufen seien, Streitverfahren zu klären. Grundsätzlich bestünde eine „Subsidiarität“ der Aufsichtsanordnung gegenüber einem Klageverfahren beziehungsweise einer Klagemöglichkeit. Konkret bedeutet dies: Solange sich nicht eine Frau bereit findet, vor Gericht zu ziehen, und dort Recht erhält, kann die Kasse in Seelenruhe bei ihrer Praxis bleiben, da dem Ministerium nach seiner Auffassung die Hände gebunden sind.

Für die Grünen im Landtag ist diese Argumentation fadenscheinig. Die Verantwortung für das rechtmäßige Handeln der Sozialversicherungsträger liege eindeutig beim Sozialministerium, argumentiert dort die Frauenreferentin Andrea Buchwald: „Es darf nicht angehen, daß auf einzelne Frauen die Verantwortung abgeschoben würde.“ Überprüft werden müsse, ob die Urteile des Bundessozialgerichts so ausgelegt werden dürfen. Dazu kommt, daß es lange dauern kann, bis eine Frau sich zu einer Klage entschließt. Denn gerade in den konservativen, ländlichen Gebieten dürfte die Angst, für eine Abtreibung vor Gericht zu ziehen, verständlicherweise hoch sein. So hat sich auch in Bayern bislang keine Frau gefunden, gegen die Unterfränkische Landwirtschaftskasse vorzugehen. Bereits vor zwei Jahren hatte sie beschlossen, keine Abbrüche nach sozialer Indikation zu bezahlen. Im bayerischen Sozialministerium hatte man zwar die Kasse auf die Rechtslage hingewiesen, nach der Versicherungsträger nach Paragraph 200f Reichsversicherungsordnung dazu verplichtet sind, „nicht -rechtswidrige“ Schwangerschaftsabbrüche zu bezahlen, aber nichts weiter unternommen. Im Gegenteil: Anfang dieses Jahres kündigten die CSU und die bayerische Staatsregierung eine Normenkontrollklage gegen den Paragraphen 218 und die Krankenkassenfinanzierung an.