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Adorno, das Ei und die Arnheimer Konvention

Vergangenen Mittwoch: Der Eiertanz von Moers / Oder: Wie die niederländische Eierwirtschaft versucht, mit einer breitangelegten Werbekampagne ihre neue „Auslese-Qualität“ in die Mägen zu bringen / Am Anfang war das Küken / Neu: Das Tüv-Ei vom KZ-Huhn / Die Henne Johannah und ihr langer Leidensweg / Aber: Aus dem Auslese-Ei kann schnell das Spätlese-Ei werden / Liegt die Lösung in einem Mehr an russischen Eiern? / Auch ein Eierdirektor war da  ■  Aus dem Innern B.Müllender

„Das weiß ein jeder, wer's auch sei,

gesund und stärkend ist das Ei.“

(Wilhelm Busch

Bramsche/Moers (taz) - Als Johannah den Ausbruch endlich geschafft hat, liegt vor ihr ein ruhiges weites Land mit saftigen grünen Wiesen und Weiden und dazwischen ein paar einsamen Gehöften. Doch sie erkennt die bäuerliche Landschaft in der Nähe des süd-niedersächsischen Bramsche nur durch ein Fenster. Johannah ist in einer riesigen, aluminiumverkleideten Halle. „Zutritt verboten“ steht daran.

Duster ist es um sie herum, sie liegt auf einem Fließband, einem vom vielen, wie in einer Auto- oder Maschinenfabrik. Hier jedoch geschieht anderes, es wurde mal wieder „Schlupf gemacht“, wie fast jeden Tag. An die 60.000 Eintagsküken wie Johannah quirlen in dieser Großbrüterei auf den Bändern durcheinander, vorbei an der japanischen Belegschaft. Diese Spezialisten wenden einen geheimen Tastsinn oder Tasttrick an, der ihnen beim Befingern jedes Flaumknäuels in Akkordzeit sagt, wohin mit dem Jüngstgeflügel: ein kurzer schneller Griff und zack ins Töpfchen (die weiblich identifizierten) oder weg ins Kröpfchen (die angehenden Hähne). Die asiatischen Kolonnen müssen ran, weil die Biologie dummerweise Küken fifty-fifty zur Welt kommen läßt: die männlichen werden gleich vergast und lastwagenweise von Tierparks oder Katzenzüchtern für Pfennigsbeträge pro Tier abgeholt und verfüttert. Johannah hat Glück, ihr Japaner greift richtig, erkennt ihre produktive Weiblichkeit korrekt und verurteilt sie dadurch wie ihre vielen anderen Geschlechtsgenossinnen zu legelanger Einzelhaft - erwachsen werden, dann ab in die Batterie, und nichts wie raus mit Ei auf Ei auf Ei auf Ei.

Das lebendige Investitionsgut Johannah sei Beleg dafür, daß in der Eierbranche die infaunale Behandlung nicht erst im Käfig beginnt. Johannah sei außerdem Ausgangspunkt grundsätzlicher Betrachtungen über das Ei schlechthin: nicht als gespiegeltes, gerührtes oder viel zu hart weichgekochtes Endprodukt für menschliche Eßlust, nicht als Quell des Lebens oder altehrwürdiges Symbol des Christentums (Oster -Ei), sondern als Küken-Huhn-Ei-Zyklus in einem schalenharten Wirtschaftszweig. Johannahs Lebensweg beantwortet zunächst die uralte Menschheitsfrage, was da zuerst gewesen sei, Henne oder Ei, ein für allemal: Am Anfang war, und mit diesem dotterweichen Kompromiß wird auch eine radikale Tageszeitung leben müssen, ganz eindeutig: das Küken.

Darüber hinaus führt uns Johannahs Auslese-Schicksal 200 Kilometer südlich, ins niederrheinische Moers, wo die niederländische Eierwirtschaft am Mittwoch hingeeilt war, um zukunftsweisende Neuigkeiten zu präsentierten. Auch da ging es um Auslese. Vorgestellt wurde die „Arnheimer Konvention“. Dies ist „eine für ganz Europa bedeutsame Qualitäts -Kampagne“, die künftig „Maßstäbe für das frische Ei setzen“ möge. Eine neue, siehe da, „Auslese-Qualität unter dem Gütesiegel 'Eiland Holland'“ lockte, und ein Kontrolldienst „Tüv vom Ei“ mit dem unbescheidenen Bekenntnis: „Hollands Farmer wollen Vorbild sein.“

Vertreter dieser „Farmer“ waren ein halbes Dutzend Eiermänner: Eihändler, Eiwerbler, ein „Direktor des Sektors Eier“ und Eiproduzenten. Sie erzählten Erschütterndes. Etwa: „Das Image des holländischen Eies ist nicht besonders gut. Es wird wie an der Börse gehandelt.“

Die Arnheimer Konvention

der neue Maßstab?

Anders die hiesigen: „Das schwarz-rot-goldene Ei wird erfolgreich beworben.“ Wir kennen ja dieses „Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch“. Unverschämt diese Behauptung, wo doch, eihaft gesehen, „in Deutschland nur einmal im Jahr kontrolliert“ werde, beim Nachbarn dagegen ein bis zweimal die Woche. Zudem stagnieren die Absatzzahlen, Hollands 35 Millionen Johannahs schaffen keine 10 Milliarden Stück mehr, von denen gerade mal 4,4 Milliarden in deutsche Mägen wandern. Das ist bitter, das ist zu wenig - da mußte gehandelt werden.

Die „Arnheimer Konvention“ nun, ein Abkommen zwischen staatlichen Kontrollbehörden, Packstellen und Exporteuren, gelobt Verbesserungen von der Schale bis tief in den Dotter. 10 Garantien sind dort ausgehandelt: um „vitale Hennen“ und „nur 4 Millimeter Luftkammer im Ei“ und „fester Eiweißring“ und „runder Dotter“ und „saubere Schale“ und „peinlich genaue Endkontrolle“ und so vieles anderes mehr. Wolfgang Wiegand, der als deutscher PR-Verantwortlicher das miese Image aus den niederländischen Großfabriken bekämpft, sieht gar „alle EG-Normen in den Schatten gestellt“.

Endlich also Schluß mit dem ekelerregenden Massenprodukt Ei, Abschied von der widerlichen Käfighaltung, von massenhaft geschundenen Kreaturen? Freiheit für Johannah und ihre Schwestern? Überhaupt nicht: „Nur Käfighaltung schafft beste Qualität“, so der PR-Eiler eiliges Credo, dies sei „die beste Art der Tierhaltung“, weil „hygienisch, wenn das Ei nicht in den Mist fällt.“ Mijnheer Janssens, Vorsitzender Eierhändler aus dem Eiland nebenan: „Wir wollen uns nicht absetzen gegenüber biologisse Eieren. Das ist doch so wenig und spielt kijne Rolle insgesamt.“

Zweiter Versuch: Die selbstverpflichtende Konvention garantiert unter der Rubrik „Geruch, kein Fremdgeruch“ ein „einwandfreies Futter ohne Zusätze, die den Geruch verfälschen“. Eine appetitanregende Formulierung, die einen als Huhn aber zum Lachen bringen könnte.

Denn andere Zusätze gehören nicht zu den ausgeschlossenen von Arnheim: das beliebte Fischmehl (solange der Geruch unterbleibt), das Sojamehl (dessen Inhaltsstoff Cholin durch Mikroorganismen zum häufigen Fischgeschmack - nicht -geruch

-beiträgt). Oder die vorsorglichen Dopingspritzen, die eine umfassende Salmonellen-Verseuchung, Folge der ansteckenden Enge in den Batterien, verhindern sollen. Oder die Carotinoide genannten Farbstoffe, die uns das Dotter so scheingesund zu sattem Dunkelgelb machen. Klare Worte vom Direktor Mijs der „Wirtschaftsgruppe für Federvieh und Eier“: Es dürfe alles herein, „was den EG-Richtlinien entspricht“.

Meistens jedenfalls

Zehn Prozent, erhoffen sich die Eiermanager, solle der Anteil der Ausleseprodukte aller holländischen Eiexporte in die Bundesrepublik 1990 betragen. Letzter Versuch, das besondere an der „Auslese-Qualität“ zu finden: durch Umkehrschluß: wie ausgelesen sind denn die anderen 90 Prozent? Genauso gut, heißt die Antwort, meistens jedenfalls. Nur sei es bei den Auslese-Eiern eben garantiert und das für jede Packung, genauso wie die besondere Frische: „Maximal 2-3 Tage vom Legetag bis zur Ankunft im Handel“, heißt es auch in der „Arnheimer Konvention“. Klingt gut, aber was passiert dann? Da liegen sie dann, ein vielfaches oft von 2-3 Tagen. „Der Handel muß auch was für das Ei im Regal tun“, hofft Wolfgang Wiegand. Was denn: schnell selbst kaufen, zu Pfannkuchen machen, zu Eierstich, Omeletts, Russeneiern oder Strammen Maxen respektive Uitsmijtern? Nein, es steht zu befürchten, daß die Auslese hier zur Spätlese wird. Die Eierfrage schlechthin blieb auch nach dem Eiertanz von Moers bei noch so viel Arnheim ungelöst.

Gibt es richtige Eier unter all den falschen? Adorno hätte die Antwort gewußt. Oder Wilhelm Busch:

Johannah legt noch schnell ein Ei,

und dann kommt schon der Tod herbei.“

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