: BremerInnen wachsen Schulden über den Kopf
■ Arbeitslosigkeit und bargeldloser Zahlungsverkehr zwingen immer mehr BremerInnen in die Knie
Immer mehr private Kreditnehmer ertrinken im Sog ihrer Schulden. Die Kreditaufnahme hat nach Angaben der Verbraucherzentrale Bremen „extrem zugenommen“. 60 Prozent der Haushalte sind mittlerweile mit durchschnittlich 15.000 Mark verschuldet. In jedem zehnten Fall kommt es zum Zahlungsvollzug, in jedem fünfzigsten zur Pfändung oder eidesstattlichen Versicherung.
Günther Kornblum, Jurist in der Rechtsberatung der Angestelltenkammer, kennt die Ursachen für die rapide ansteigenden Finanzkollapse: Was als Kleinkredit für eine Wohnungseinrichting beginnt, zieht im Lauf der Jahre einen kaum vorhersehbaren finanziellen Rattenschwanz nach sich. „Die Kreditverträge sind meistens so aufgebaut, daß zunächst einmal die Zinsen abgetragen werden. Wird ein Schuldner innerhalb der Laufzeit seines Kredits beispielsweise arbeitslos, hat er möglicherweise gerade erst die Zinsen für das geliehene Geld abgezahlt und muß zur Tilgung der Raten einen neuen Kredit aufnehmen. Aus diesem Teufelskreis gibt es meistens kein Entkommen mehr.“
„Wir haben hier Fälle, da
wächst ein 20.000 Mark Kredit innerhalb von acht Jahren bis auf 100.000 Mark an“. Karin Böker von der Verbraucherzentrale in Bremen kümmert sich um die Schuldner, wenn kein Land mehr in Sicht ist. Langwierige, zähe Verhandlungen mit Banken um
Stundung, Aussetzung und Umschuldung beginnen dann. „Die Banken kommen den Schuldnern meist ein größeres Stück entgegen, wenn sie erfahren, daß die Verbraucherzentrale an der Umschuldung beteiligt ist.“
Bremen hat als einziges Bun
desland die Notwendigkeit einer systematischen Schuldenberatung verschlafen. Bereits 1986 war der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) mit einem Konzept zur Schuldenberatung an den Sozialsenator herangetreten. Im letzten Jahr brach
der Kontakt ab. „Seitdem Schweigen wir uns an und die Brisanz nimmt tägliche zu“, richtet Albrecht Lange (DPWV) seine Kritik an die Behörde. Seitdem die Kreditinstitute ihre bargeldlosen Plastikkarten an Kleinverdiener abgeben, steigt die private Verschuldung weiter an.
Auf einem SPD-Forum zum Problem der privaten Verschuldung hatte Senatasdirektor Hoppensack vorgeschlagen, die Sozialen Dienste mit den Schuldenberatungen zu betrauen. Doch die sind ohnehin schon hoffnungslos überlastet und auch nicht kompetent. Eine systematisch aufgebaute und ausgebildete Schuldenberatung muß es nämlich mit professionellen Geldverleihern und starken Banken aufnehmen können. Einzelne Initiativen überbrücken das Personaldefizit in der Schuldenberatung mit ABM-Stellen und Laienberatern. Die Solidarische Hilfe, die AGAB, die AWO oder die Straffälligen Betreuung kümmern sich um Einzelfälle. Dadurch bleibt die Schuldenberatung in Bremen in einem improvisierten Schwebezustand. Angesichts der immensen Verschuldung ist das eine völlig unangemessene Reaktion seitens der Sozialbehörde. mad
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